25.11.1999 - imprimatur
Bischof Kasper wünscht Hofberichterstattung
von Uwe Beck
Unter Chef-Redakteur Uwe Renz wurde aus dem biederen Katholischen Sonntagsblatt, Kirchenzeitung des Bistums Rottenburg-Stuttgart, eine renommierte Zeitschrift. Jetzt mußte er, zerrieben zwischen Diözese und Verlag, gehen. Der Rausschmiß hat in der Diözese ein Erdbeben ausgelöst.
Es war am 18. Juni um die 11. Stunde, als der Bote des Vorstands in der Chef-Redaktion des Katholischen Sonntagsblattes plötzlich auftauchte. Uwe Renz, seit fünf Jahren Leiter des fünfköpfigen Teams, wurde die Kündigung zum Jahresende ausgesprochen, und wann genau er gedenke, an diesem Tage die Redaktionsräume zu verlassen. Im Laufe des Nachmittags, schneller ginge das wohl nicht, so der Gefeuerte. "Nein", so das Sprachrohr des großen Vorsitzenden bestimmt, "bis in 30 Minuten wollen wir Sie hier nicht mehr sehen - okay, sagen, wir bis in einer Stunde."
Renz hatte innerhalb von fünf Jahren aus dem verstaubten Kirchenblatt eine Zeitschrift gemacht, die Themen offen anpackte und auch Kirchenkritisches abdruckte. "So vielfältig, wie das Leben der Kirche und der Diözese nun eben ist, so vielfältig wollten wir auch berichten" so Renz nach seinem Rausschmiß. Geschockt, wie gelähmt, machte sich die Rest-Redaktion an die Fertigstellung der Nummer 25. Darin der letzte Kommentar von Uwe Renz - schon seit Tagen fix und fertig redigiert -, und der letzte Satz, fast schon ein Vermächtnis: "Die Gestalt der Kirche wird sich ändern, und eines Tages können Veränderungen möglich sein, an die heute niemand zu glauben wagt."
Seitdem ist in der Diözese Rottenburg-Stuttgart der Teufel los. Die Schwabenverlags AG ist mit mehr als 80 % in diözesaner Hand. Herausgeber ist der jeweilige Bischof. In der Vorstandschaft läuft nichts ohne die Rottenburger, und im Aufsichtsrat sitzen sie selbst drin. Generalvikar Werner Redies, Diözesanjustitiar Dr. Waldemar Teufel und - als Vorsitzender, Dr. Leopold Schuler, Ex-Kanzlei-Chef im Bischöflichen Ordinariat.
Seit die Verlags1eitung in dürren Worten die Trennung von Renz begründete ("Wegen erheblicher Probleme in der Zusammenarbeit mit der Verlagsleitung", "im Einvernehmen mit dem Herausgeber"), gibt es unter den schwäbischen Katholiken einen regelrechten Aufstand.
Hunderte von Abbestellungen des Katholischen Sonntagsblattes flatterten bei Verlag und Redaktion binnen weniger Tage ein. Ein Stuttgarter Pfarrer kündigte, von 17 Abonnements gleich 16 und behielt - zur Erinnerung sozusagen - nur noch ein Exemplar. Freie Mitarbeiter, die bislang Woche für Woche die Redaktion mit Predigtgedanken und Texten zur Lebensgestaltung bereicherten, stellen ihre Mitarbeit ein. Stuttgarter Fotografen überlegen, den Schwabenverlag zu boykottieren. "Die Entlassung von Uwe Renz ist Zensur", so der langjährige Bilder-Lieferant Markus Dollenbacher. Und ein Referent der Diözesanakademie i.R. gab unter Protest die Martinusmedaille, die höchste Auszeichnung der Diözese, an den Generalvikar zurück - "mit zugehöriger Urkunde". Diese Ehrung "ehrt mich nicht mehr." Eine initiative Katholisches Sonntagsblatt', spontan entstanden, forderte die Rücknahme der Kündigung des Chef-Redakteurs. Gegen diese Entscheidung "protestieren wir entschieden". 79 Professoren (darunter der renommierte Ethiker Alfons Auer), Dekane, Pfarrer und Seelsorgerinnen traten binnen dreier Tage dem Protestbrief per Unterschrift bei. "Wir erleben in unseren Gemeinden und in der Öffentlichkeit die verheerenden Auswirkungen dieser Entscheidung", so der Text an Verlag und Diözesanleitung.
Dem Rauswurf vorausgegangen war ein langer Konflikt zwischen der Redaktion und dem Herausgeber, Rottenburgs Bischof Walter Kasper. Pikant ist, daß diese Kündigung in die Zeit des Weggangs von Bischof Kasper nach Rom fällt. Kasper ist seit 1. Juni Sekretär des Päpstlichen Einheitsrates der Christen. Das Sperrfeuer aus Rottenburg trifft die Redaktion schon seit 4 Jahren. Mitunter wöchentlich, fast auf jede Nummer, reagierte Bischof Kasper auf einzelne Berichte im Blatt. Einmal waren Texte über die Jungfrauengeburt dem hohen Herrn zu schnodderig und nicht auf der Linie des Katholischen Katechismus. Dann hagelte es schriftlich Kritik an Berichten über die Entwicklung von Gemeinden; die ihr Gemeindeleben relativ autonom, also ohne Pfarrer, geregelt haben. Im Frühjahr 1995 verlangte Kasper eine Debatte über die "künftige Ausrichtung des Katholischen Sonntagsblattes". Zwei Jahre später sprach er dem Chefredakteur eine Warnung aus und zwang die Redaktion, korrigierende Texte abzudrucken. Ende 1997 machte Renz dem Herausgeber den Vorschlag, in unregelmäßigen Abständen eine Kolumne ("Wort zur Zeit") abzufassen - eine Möglichkeit, die Kasper nur selten nutzte. Nach entsprechenden Berichten über eine mögliche Rehabilitation von Hans Küng kam es im Sommer 1998 zur Eskalation: Bischof Kasper entzog dem Chef-Redakteur sein Vertrauen - noch mündlich. Im November folgte die Abmahnung durch den Verlag. Der Grund: Renz hatte sich geweigert, einen ehrenden Nachruf auf den längjährigen Vorsitzenden des Aufsichtsrates im Schwabenverlag, Erwin Funk zu verfassen und der Verlagsleitung vorzulegen.
Fast zeitgleich wurde auf Seiten des Herausgebers und des Verlages der Versuch unternommen, ein neues Redaktionsstatut zu installieren. Bislang galten die Richtlinien von 1991 - als es galt, den Eintritt von Bischof Kasper in die Herausgeberschaft zu umschreiben. Das neue Statut verlangt von der Redaktion, alle 14 Tage einen "Jour Fix" mit dem Bischof abzuhalten, vor allem aber alte Berichte über Themen aus dem Vatikan, der Bischofskonferenz und dem örtlichen Diözesanrat abzusprechen und abzuklären. Renz unterschrieb im Dezember letzten Jahres widerwillig und unter Protest; seine presserechtliche Stellung als Chef-Redakteur sei wesentlich tangiert.
Vor Jahren wurde eine sogenannte "Kommission Katholisches Sonntagsblatt"' eingerichtet. Diese bischöfliche Kommission, bestehend aus Pfarrern und Medienleuten der Diözese, besaß den Auftrag, Herausgeber und Verlag in Sachen Inhalt und Erscheinungsform des Kirchenblattes zu beraten. Diese Kommission wußte weder vom neuen Redaktionsstatut noch von der beabsichtigen Kündigung.
Dann war Ruhe bis zum Frühjahr. Berichte zum Thema "späte Väter" samt Bild von Oskar Lafontaine führten Ende März zum ersten Versuch, Renz loszuwerden. Am 24. März wird der Betriebsrat informiert, der einen mehrseitigen Widerspruch zur beabsichtigten Kündigung formuliert. Auch Renz schreibt nach Rottenburg, verweist auf den unmöglichen Zeitpunkt der Kündigung ("kurz vor Ostern"), und die Kündigung wird dann doch nicht ausgesprochen. Das Domkapitel will eine Kündigung zum damaligen Zeitpunkt auch nicht - schließlich herrscht Aufbruchsstimmung: Bischof Kasper geht nach Rom, und da würde eine solche Kündigung samt Wirbel in der Öffentlichkeit nur stören.
Einen Trennungsvertrag will Renz nicht annehmen. So kommt es - nach dem Weggang von Bischof Kasper - am l8. Juni dann doch zur endgültigen Kündigung, ausgesprochen durch den Verlag. Die freilich ist nicht unproblematisch. Zum einen wird die Kündigung auch ausgesprochen wegen des gestörten Vertrauensverhältnisses zum Herausgeber. Da freilich im Augenblick kein ordentlicher Herausgeber vorhanden ist, kommt dieses Argument an seine logischen Grenzen. Zum anderen haben Kirchenrechtler Bauchschmerzen. So regelt das Kirchenrecht in can. 418, daß ein versetzter Bischof "von der sicherem Kenntnisnahme der Versetzung an" bis zur Besitzergreifung der neuen Diözese nur die eingeschränkten Rechte eines Administrators besitzt. Bischof Kasper wußte sicher von seiner neuen Aufgabe seit dem 16. März, dem Datum seiner Ernennung in Rom. Uwe Renz wurde aber erst am 24. März mit Zustimmung von Kasper gekündigt. Auch wenn Kasper formal keine neue Diözese ergreife, sei sein Verhalten zumindest "moralisch bedenklich", so der emeritierte Bochumer Kirchenrechtler Heribert Heinemann. Doch auch daran haben die Römer gedacht: Mit der Ernennung zum Sekretär des Einheitssekretariates erhielt Kasper eine Dispens von eben diesem Canon des Kirchenrechtes - ein Vorgang, den Kirchenrechtler nicht nachvollziehen können.
Für viele Rottenburger bleibt es unverständlich, daß die Kündigung trotz des Weggangs von Kasper nach Rom durchgezogen wurde. Manche vermuten eine Art Abschiedsgeschenk an den Altbischof, andere sprechen von einer "Fernzündung aus Rom" gegen Renz.
In den Protestschreiben an den Verlag und an das Ordinariat zeigen sich viele enttäuscht vom Verhalten des derzeitigen Leiters der Diözese, Weihbischof Dr. Johannes Kreidler. "Konfliktscheu und unsicher" (Südwest Presse) glaubte er, dem Kündigungswunsch seines Vorgängers vom März entsprechen zu müssen. "Weihbischof Kreidler hat sich juristisch beraten und geglaubt, keine andere Entscheidung fällen zu können als die vom März: Kündigung vollstrecken!", so Bistumssprecher Klaus W. Hälbig. Gedrängt wurde Kreidler dabei von Generalvikar Werner Redies, der nicht nur im Aufsichtsrat des Schwabenverlages Sitz und Stimme hat und der Kündigung zugestimmt hatte, sondern auch als "Kaspers verlängerter Arm im Bistum" (Südwest Presse) gilt. Einzig Domdekan Georg Kopp, der mit seiner Beharrlichkeit mitunter die Würde des gesamten Domkapitel zu sichern vermag, warnte vor der Kündigung und deren Auswirkungen - vergeblich.
Unter der Leitung von Uwe Renz hatte sich das Blatt entwickelt. Der Imagegewinn, vor allem unter den Multiplikatoren in der Diözese, mußte auch von der Verlagsleitung zugestanden werden. Die Auflage, derzeit bei 65.450 verkauften Exemplaren, sank mit vier % pro Jahr nur wenig. Bei einigen Kirchenzeitungen in Deutschland liegt der Abwärtstrend bei 7 %. Der Schwabenverlag hätte zufrieden sein können.
Und doch ist Renz auch Opfer der Entwicklungen im Schwabenverlag der letzten Jahre. Udo Vogt (61), derzeit Vorstand der Schwabenverlag AG, kam im Herbst 1994 ins Haus. Dem gelernten Diplom-Ingenieur gelang es binnen kurzer Zeit, die Mitarbeiter mit einsamen Entscheidungen zu demotivieren. Leitenden Mitarbeitern wurde gekündigt, oder diese nahmen entnervt selbst den Hut. "Die Kommunikation ist gleich null", heißt es. Besprechungen auf der mittleren Leiterebene gibt es seit mehr als 18 Monaten nicht mehr. "Die Entlassung von Uwe Renz tut uns noch weh, doch Vogt ist eben der Vollstrecker Rottenburgcr Beschlüsse", war zu hören. Darüber hinaus läßt das wirtschaftliche Ergebnis des Unternehmens zu wünschen übrig. So ging im Geschäftsjahr 1998 der Umsatz um 2,6 % zurück. Udo Vogt ist noch bis zum Jahr 2000 Vorstandsvorsitzender. Ob der Aufsichtsrat sich erneut für ihn entscheidet, gilt ob der Gesamtlage des Unternehmens als eher unwahrscheinlich.
Auch vier Wochen nach der Kündigung haben sich die Gemüter nicht beruhigt. Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" ruft dazu auf, zu überlegen, "ob das Blatt weiterhin bezogen werden soll". Die Betriebsseelsorger der Diözese Rottenburg-Stuttgart werfen in einem offenen Brief der Bistumsleitung und dem Verlag "gnaden-loses Arbeitgeberverhalten" vor. Alle Protestierer eint die Sorge, daß aus dem Bistumsblatt eine Hauspostille des Bischofs werden soll, zur Hofberichterstattung verpflichtet.
Im Katholischen Sonntagsblatt werden Leserbriefe zu diesem Streitfall nicht abgedruckt. So wenden sich Leser und Ex-Leser an profane Blätter. So nennt der Stuttgarter AIDS-Seelsorger Petrus Celeen in einem Leserbrief an die Stuttgarter Zeitung die "Art und Weise, wie der Vater von vier Kindern vor die Tür gesetzt wurde, erbarmungslos und einen Schlag ins Gesicht des Kirchenvolkes". Den nach Rom berufenen Bischof Kasper fragt er: "Wann lernt die Kirche endlich, daß Loyalität nicht blinder Gehorsam bedeutet, sondern eigenständiges Denken mit einschließt?" Und der Stuttgarter Krankenhausseelsorger Dr. Hans Peter Rieder stellt in Richtung Rottenburg fest: "Neu ist es ja nicht, daß in Zeiten eines Machtvakuums die in allen Großorganisationen tätigen `Strippenzieher' den vorübergehenden Entscheidungsträger (Diözesanadministrator Weihbischof Dr. Johannes Kreidler, Red.) instrumentalisieren." Die Kirchen seien offenkundig in einer solchen Vorgehensweise "so gefährdet wie anscheinend geübt".
Der Schwabenverlag, von den Reaktionen ganz offenkundig überrascht, schlug im Katholischen Sonntagsblatt zunächst zurück und sprach von "haarsträubenden Behauptungen, von Verleumdung in einem unverantwortlichen Pamphlet". Jetzt freilich bläst man zum Rückzug. "Die Redaktion arbeitet weiter und hält an der bisherigen Konzeption der Bistumszeitung unverändert fest", läßt man verlauten. Und: "Diese Linie wird auch ein neuer Chefredakteur einhalten." Warum dann die Kündigung?
Zuletzt geändert am 05.05.2008