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Veröffentlicht am 20­.09.2018

Erste Ergebnisse MHG-Studie (2)

„Heilsame Unruhe vor der Veröffentlichung der Studie“

Pressemitteilung München/Fulda, 20. September 2018

Wir sind Kirche begrüßt Vorabveröffentlichung der Ergebnisse der MHG-Studie

  • Strukturen sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung seit Langem bekannt
  • Notwendige grundlegende Debatten endlich konstruktiv führen
  • MHG-Studie Katalysator für schmerzhaften, aber notwendigen Läuterungsprozess

Die nach der Vorabveröffentlichung erster Ergebnisse der sogenannten MHG-Studie auch von den Kirchenleitungen aufgenommene Debatte über notwendige Korrekturen kirchlicher Lehre und Strukturen dürfen kein Strohfeuer bleiben. Die gesamte Bischofskonferenz muss diese so dringend notwendige Debatte auf ihrer Herbstvollversammlung in der kommenden Woche in Fulda aufgreifen und fortführen. Dies betrifft vor allem konkrete Punkte der Sexualmoral (ganz besonders die Homosexualität), den Zölibat, die Verkoppelung von Priesteramt und Macht sowie den Ausschluss von Frauen aus dem priesterlichen Amt – Themen, die von Reformkräften schon lange in die Debatte gebracht worden sind.

Solange sich die deutschen Bischöfe zu keinem einheitlichen Weg in der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und in der Prävention bereitfinden, wird es ihnen nicht gelingen, gegenüber dem Kirchenvolk wie der Öffentlichkeit wieder glaubwürdig zu werden. Der im Titel der MHG-Studie verwendete Begriff „Missbrauch“ ist ein Euphemismus. Nach all den bisher aufgedeckten Skandalen in Österreich 1995 (Anstoß für das KirchenVolksBegehren Wir sind Kirche), den USA 2002, im Bistum Regensburg 2007, in Irland 2009, in Deutschland 2010 (Canisius-Kolleg und viel mehr), in Belgien 2016, in Australien 2017 sowie 2018 in Chile, Pennsylvania und wieder in Deutschland (MHG-Studie) stellt sich doch die Frage: Was muss denn noch alles passieren, bis eine wirklich konsequente Aufarbeitung möglich wird? Wann werden endlich die grundlegenden Debatten konstruktiv geführt? Schließlich kann auch die von manchen kritisierte Vorveröffentlichung der Studie als Versagen der Kommunikation der Bischofskonferenz gedeutet werden.

Strukturen sexualisierter Gewalt und ihrer Vertuschung seit Langem bekannt

Kühn erklärte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Stephan Ackermann, in seiner ersten Reaktion auf die MHG-Studie: „Wir wissen um das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs, das durch die Ergebnisse der Studie belegt wird.“ Wenn dies stimmt, müssen sich er und jeder einzelne Bischof fragen lassen, ob sie in den achteinhalb Jahren seit Anfang 2010 wirklich schon nachhaltig gehandelt haben und dies zur Chefsache gemacht haben, nachdem damals der Jesuit Klaus Mertes am Berliner Canisius-Kolleg die ersten Skandale in Deutschland aufgedeckt hatte.

Derzeit überbieten sich die einzelnen Bischöfe mit Bekundungen ihrer Betroffenheit, manche stilisieren sich sogar als Opfer. Dabei sind ihnen spätestens seit Ende 2010 die erschütternden Kernaussagen der Westpfahl-Studie für das Erzbistum München 1945-2009 bekannt, die die grundlegenden Strukturen klerikaler sexualisierter Gewalt und ihrer systematischen Vertuschung offenlegten.
Im selben Jahr erschien auch das Buch „Macht, Sexualität und die katholische Kirche. Eine notwendige Konfrontation“ des australischen Weihbischofs Geoffrey Robinson, der selber Opfer und später Vorsitzender des nationalen Komitees zur Klärung der Missbrauchsvorwürfe war. (Auszüge des Buches von Bischof Robinson)

Robinson distanziert sich von der überkommenen Sexuallehre der katholischen Kirche sowie von deren inneren Machtstrukturen. „Es ist eines der hässlichsten Kapitel in der katholischen Kirche, dass eine erhebliche Anzahl von Priestern und Ordensleuten Minderjährige sexuell missbrauchte und dann viele Kirchenbehörden auch noch versuchten, den Missbrauch zu vertuschen. Ein krasserer Widerspruch zu allem, was Jesus Christus lehrte, ist schwer vorstellbar, und der tief greifende und dauerhafte Schaden für die Kirche ist kaum zu überschätzen.“

Jeder sexuelle Missbrauch ist zunächst ein Machtmissbrauch, so seine These, und im Falle der Kirche ist es ein Missbrauch von geistlicher und spiritueller Macht. Robinson durchleuchtet den weitgehend unkontrollierten Umgang mit Macht in der katholischen Kirche gründlich, und zwar von oben bis unten, und legt konkrete Änderungsvorschläge vor. Dass ihm dies damals nicht viel Zustimmung am Zentrum der kirchlichen Macht, dem Vatikan eintrug, nimmt nicht wunder. Robinson wurde der Ketzerei verdächtigt und trat 2004 als Weihbischof von Sidney zurück.

Papst Franziskus bei der Aufarbeitung unterstützen!

Wir sind Kirche begrüßte den Brief von Papst Franziskus vom 20. August 2018 an das ganze Kirchenvolk, in dem er sich wie kein Papst zuvor zum Missbrauch und zu den Fehlern der Kirchenleitung in dieser Sache bekennt. Zu Recht prangert er den mit sexualisierter Gewalt verbundenen Macht- und Gewissensmissbrauch an und benennt falsche kirchliche Autorität und Klerikalismus als strukturelle Hauptursachen.
Am 1. September 2018 appellierte Wir sind Kirche an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz, sich angesichts der fadenscheinigen Rücktrittsforderungen öffentlich an die Seite von Papst Franziskus zu stellen und ihn mit aller Kraft bei der weiteren Aufklärung sexualisierter klerikaler Gewalt zu unterstützen. Doch bisher haben erst sehr wenige Bischofskonferenzen – auch die deutsche nicht – ihre uneingeschränkte Solidarität mit dem Papst erklärt.

Verantwortung von Kardinal Gerhard Ludwig Müller in Rom

Eine große Mitschuld an möglichen Fehlern des Vatikans bei der Aufklärung sexualisierter Gewalt durch Kleriker in der römisch-katholischen Kirche hat auch der deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Zwischen Juli 2012 und Juli 2017 war er als Präfekt der Glaubenskongregation von Amts wegen für die weltweite Aufklärung und Prävention dieser Verbrechen verantwortlich. Doch bis zuletzt hat Kardinal Müller immer von Einzelfällen und Medienkampagnen gesprochen und die in der Struktur der zölibatären Männerkirche liegenden Zusammenhänge geleugnet. Auch in seiner Zeit als Bischof von Regensburg (2002–2012) wurde ihm die Verschleppung von Missbrauchsfällen vorgeworfen. In einer Predigt am 15. September 2018 in Rom hat er gar die schon vom Papst Benedikt angeordnete Zusammenarbeit der Kirche mit staatlichen Strafverfolgungsbehörden wieder in Frage gestellt.

Bischofssynode zur Jugend kann Thema nicht ignorieren

Wenige Tage nach der offiziellen Vorstellung der MHG-Studie am 25. September 2018 in Fulda wird am 3. Oktober 2018 in Rom die weltweite „Jugendsynode“ der Bischöfe eröffnet. Es mag richtig sein, dass diese Synode trotz der aktuellen weltweiten Enthüllungen nicht abgesagt wird. Aber auf dieser Synode wird jetzt auch über diese brennende Thematik gesprochen werden müssen. Vor allem sollten dort auch junge Menschen direkt zu Wort kommen.

Schmerzhafter, aber notwendiger Läuterungsprozess

Für Ende Februar 2019 hat Papst Franziskus die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen nach Rom geladen, die aber bis dahin keineswegs untätig bleiben dürfen. Franziskus ist bereit, sich dem schmerzhaften, aber notwendigen Läuterungsprozess zu stellen, den die römisch-katholische Weltkirche jetzt vor sich hat. Dabei ist er aber auf eine breite Unterstützung auf allen Ebenen angewiesen. Für die Zukunft wird auch eine grundlegende theologische Aufarbeitung erforderlich sein. Denn nicht nur die rigide Sexualmoral, sondern auch die theologische Selbstüberschätzung eines männerbündischen zölibatären Priesterstandes haben diese Verbrechen und deren Vertuschung begünstigt und tun dies immer noch.

Pressekontakte Wir sind Kirche-Bundesteam: 
Magnus Lux, Tel: 0176 41266392, E-Mail: lux@wir-sind-kirche.de
Christian Weisner, Tel: 0172 5184082, E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de

Hintergrund:

Die weltweit vernetzte internationale Reformbewegung Wir sind Kirche ist 1995 in Österreich als Reaktion auf die Vorwürfe sexualisierter Gewalt entstanden, die gegenüber dem damaligen Wiener Kardinal Hans-Hermann Groer erhoben wurden. In Deutschland hat Wir sind Kirche seit 2002 und damit lange vor den deutschen Bischöfen zehn Jahre lang ein niederschwelliges Not-Telefon für Betroffene betrieben.
> mehr zu sexualisierter Gewalt bei Wir sind Kirche

Zuletzt geändert am 23­.09.2018