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Veröffentlicht am 15­.10.2012

„Jahr des Glaubens“

Wir sind Kirche zur Weltbischofssynode, zum Gesprächsprozess und zu den Pfarrer-Initiativen

Pressemitteilung München / Rom, 15. Oktober 2012

„Jahr des Glaubens“ muss wirkliche Dialoge ermöglichen und konkrete Ergebnisse bringen!

„Das ‚Jahr des Glaubens’, das Papst Benedikt XVI. am 50. Jahrestag des Beginns des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 2012 eröffnet hat, muss in erster Linie zu einem Jahr des offenen und ehrlichen Dialogs werden“, erklärt die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche anlässlich der vor einer Woche eröffneten Weltbischofssynode. Nur wenn die jetzt in Rom tagenden Bischöfe endlich die dringend erforderlichen, theologisch begründeten und lange angemahnten Reformschritte in Angriff nehmen, besteht überhaupt noch eine Chance, die akute Kirchenkrise zu beheben.

Als Nachfolger der Apostel ist es unbedingte Pflicht der Bischöfe die konkreten pastoralen Erfordernisse in aller Deutlichkeit zur Sprache zu bringen – notfalls eigenverantwortlich die Initiative ergreifen, wie dies die mittlerweile weltweiten Pfarrer-Initiativen praktizieren. Die Glaubenskrise und die Kirchenkrise, die vor allem eine Krise der Kirchenleitung ist, dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Bis zum 28. Oktober 2012 beraten 262 „Synodenväter“ aus aller Welt unter der Leitung des Papstes ohne eigenes Recht zu Tages- und Geschäftsordnung über „Die neue Evangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens“.

„Dialog war das (!) Grundprinzip des Konzils und damit auch des Kirchenbildes, das das Konzil zur Geltung bringen wollte“, erklärte auf der Wir sind Kirche-Bundesversammlung im November 2008 (Würzburg) der Münchner Jesuit Dr. Wolfgang Seibel, Konzilsbeobachter und langjähriger Herausgeber der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“ (siehe Anhang).

Der „Gesprächsprozess“ ist noch kein „Dialogprozess“

Der von Erzbischof Dr. Robert Zollitsch als Vorsitzendem der Deutschen Bischofskonferenz im September 2010 auf dem Höhepunkt der Missbrauchskrise und Kirchenaustrittswelle angeregte „Dialogprozess“ hatte hohe Erwartungen ausgelöst, ist jedoch sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ zurückgestuft worden. Dieser von den Bischöfen kontrollierte „Gesprächsprozess“ verläuft bisher höchst diffus und unkoordiniert und ist den Anforderungen an einen offenen Dialog, der auch konkrete Ergebnisse erwarten lässt, bisher nicht gerecht geworden – weder bei den beiden Jahrestreffen (Juli 2011 in Mannheim und September 2012 in Hannover), noch weniger auf der diözesanen Ebene.

Viele KatholikInnen und auch die Priester sind mehr desorientiert als zum Engagement ermutigt, wenn schon von vorneherein bestimmte Themen, die seit Langem auf der Reformagenda stehen, von einzelnen Bischöfen als „nicht verhandelbar“ bezeichnet werden. Immer deutlicher wird sichtbar, dass innerhalb der deutschen Bischofskonferenz kein Konsens über Sinn und Zweck des Unternehmens erreicht worden ist. Offensichtlich ist man nicht bereit, gemeinsam Rom mit wirklichen konkreten Anliegen oder gar Forderungen zu konfrontieren.

Nicht der „Ungehorsam“ der Priester ist der Skandal, sondern die Untätigkeit der Kirchenleitung!

Es ist zwecklos, wenn die Bischöfe die jetzt weltweit entstehenden Pfarrer-Initiativen einschüchtern und bekämpfen. Sie können sich deren pastorale Initiativen allenfalls als Vorbild nehmen und dies auch gegenüber dem Vatikan vertreten. Wir sind Kirche begrüßt, dass sich jetzt auch in immer mehr deutschen Diözesen (u.a. Passau, Würzburg, Rottenburg-Stuttgart, Freiburg, Köln, Limburg, München) engagierte Priester und Diakone vernetzen und dafür Unterstützung aus dem Kirchenvolk erhalten (siehe www.pfarrer-initiative.org).

Der von der deutschen Bischofskonferenz veröffentlichte Brief an die Priester erscheint als sehr verspäteter, hilfloser Versuch, wenigstens die untere Führungsebene der Kirche noch auf Gehorsamskurs zu halten. Zwar ist er freundlicher formuliert als der Brief, der in Zukunft an die aus der Kirchensteuergemeinschaft Ausgetretenen verschickt werden soll, doch zeigt er in erschreckender Weise, wie sehr die Bischöfe seit Langem den Kontakt zu ihren Priestern und Diakonen sowie zur pastoralen Situation an der Kirchenbasis verloren haben. Auch dieser Brief lässt noch keine wirkliche Dialog- und Handlungsbereitschaft der Bischöfe erkennen.

Die in Österreich entstandene Pfarrer-Initiative (www.pfarrer-initiative.at) ist weltweit vernetzt, u.a. mit Australien (Solidarität etwa der Hälfte der 3.000 australischen Priester), Belgien (Solidaritätsmanifest von 350 Priestern und 8.000 Gläubigen), Frankreich, Irland (Association of Catholic Priests mit 700 Mitgliedern), Polen, Großbritannien, den USA (Association of U.S. Priests – AUSCP mit ca. 600 Mitgliedern), der Slowakei und der Schweiz.

Pressekontakte Wir sind Kirche Bundesteam:
Sigrid Grabmeier, Tel. 0170-8626290, E-Mail: grabmeier@wir-sind-kirche.de
Magnus Lux, Tel. 0176-41266392, E-Mail: Famlux@t-online.de
Christian Weisner, Tel. 0172-5184082, E-Mail: presse@wir-sind-kirche.de






P.Wolfgang Seibel SJ
(Konzilsbeobachter und langjähriger Herausgeber der Jesuitenzeitschrift „Stimmen der Zeit“)
zum Thema „Konzil und Dialog“


Auszug aus dem auch auf Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch veröffentlichten Vortrag „Der Anfang vom Anfang – oder das Ende vom neuen Lied? Das Zweite Vatikanische Konzil und die weitere Entwicklung“ bei der Wir sind Kirche-Bundesversammlung am 8. November 2008 in Würzburg:

2. Dialog
Dialog gehört schon zum Wesen des Konzils selbst. Denn seine Ergebnisse findet es nur auf dem Weg des Dialogs, der offenen Auseinandersetzung.

So wurde der Dialog das Grundprinzip des Konzils und damit auch des Kirchenbildes, dass das Konzil zur Geltung bringen wollte. An zahllosen Stellen wird betont, dass der Dialog der normale Weg der Wahrheits- und Entscheidungsfindung in der Kirche sein soll. Vor allem in der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ macht das Konzil deutlich – was vorher in dieser Eindeutigkeit noch nie gesagt wurde -, dass die Kirche als Kirche auf dem Weg nicht auf jede Frage schon eine fertige Antwort hat (GS 43), sondern selbst danach suchen muss, und dass dies nur gelingen kann, wenn möglichst viele ihren Beitrag leisten und ihr Wissen und ihre Erfahrung einbringen. Es verlangt daher einen „offenen“ (GS 43), „aufrichtigen Dialog“, ein „immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen“ (GS 92), ob Amtsträger oder Nichtamtsträger, ob Kleriker oder Laien. Gemeinsame und dialogische Wahrheitssuche also, Problemlösung nicht durch Weisungen und Dekrete von oben, sondern durch gemeinsame Beratung, durch offene Auseinandersetzung.

Dass Dialog nicht unverbindliches Sprechen aller mit allen bedeutet, dass er die Fähigkeit aller Teilnehmer voraussetzt, die eigene Position argumentativ zu vertreten und sich mit kontroversen Meinungen offen und fair auseinander zu setzen, dass zu ihm die Bereitschaft gehört, seinen Standpunkt in Frage stellen zu lassen und auch zu ändern, und dass er nur dort gelingen kann, wo ein Klima der Offenheit, des Vertrauens und der Verständigungsbereitschaft herrscht, dass es schließlich, sofern man zu einem Ergebnis kommen will, strukturierte, verbindliche Regeln und Verfahren geben muss, das brauche ich hier nicht näher auszuführen.

Dialog setzt natürlich voraus, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt. Das Konzil hat erstmals in der Geschichte des kirchlichen Lehramts eine Meinungsvielfalt in der Kirche nicht nur als möglich, sondern auch als legitim bezeichnet. Die Probleme, nach deren Lösung gesucht wird, sind ja auch so komplex, dass normalerweise die Beteiligten „bei gleicher Gewissenhaftigkeit“ zu einem verschiedenen Urteil kommen. In solchen Fällen, sagt das Konzil ausdrücklich, hat niemand das Recht, „die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen“. Man solle vielmehr „in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen versuchen“ (GS 43). Das besagt auch, dass jeder Versuch, Meinungsverschiedenheiten vor dem Versuch einer dialogischen Klärung durch ein autoritatives Wort von oben zu beenden, nicht im Sinn des Konzils ist.

Die Grundhaltung eines echten Dialogs, nämlich das Ernstnehmen anderer Positionen und die Offenheit ihnen gegenüber, ist heute in der Kirche in ganz anderer Intensität gefordert als in früheren Zeiten. Die Vielfalt der Meinungen, des Glaubensverständnisses und der Lebens- und Frömmigkeitsformen wird wohl zunehmend das Bild der Kirche bestimmen. Wie der Dialog, so fordert auch dieses Nebeneinander der verschiedensten Gruppen Geduld, Toleranz und Offenheit – und natürlich vor allem, dass sich keine Gruppe absolut setzt und allen anderen das wahre Christsein abspricht. In der Bewältigung dieser Verschiedenheit und im Umgang mit den damit notwendig verbundenen Konflikten können übrigens die Christen den Menschen unserer Zeit vorbildlich zeigen, wie Konflikte fair, offen und im Geist christlicher Nächstenliebe ausgetragen werden. In diesem Zusammenhang ist auch an ein Wort zu erinnern, das in Anlehnung an Augustinus in den konfessionellen Auseinandersetzungen des 16. Jahrhunderts geprägt wurde und vom Konzil in der vorletzten Nummer von „Gaudium et spes“ aufgenommen wird: „Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe“ (GS 92).

Auch im Verhältnis zur heutigen Gesellschaft gilt als Grundprinzip der Dialog. Das Konzil wollte nicht von oben herab, gleichsam von der hohen Warte eines der Zeit entrückten Lehramts, Prinzipien verkünden und alle Zuwiderhandelnden tadeln. Es bemühte sich vielmehr, in einer grundlegenden Solidarität die Sachverhalte und die Probleme der Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen und in einem offenen Dialog einen Beitrag zur Bewältigung dieser Probleme zu leisten. Dialog bedeutet aber immer Geben und Nehmen. Daher betont das Konzil, dass die Kirche „von der Welt, sei es von einzelnen Menschen, sei es von der menschlichen Gesellschaft, durch deren Möglichkeiten und Bemühungen viele und mannigfaltige Hilfe zur Wegbereitung für das Evangelium erfahren kann“ (GS 40), dass sie „der Geschichte und Entwicklung der Menschheit“ vieles „verdankt“, und dass sie „durch die Entwicklung des gesellschaftlichen Lebens“ eine wirkliche „Bereicherung“ erfährt (GS 44). Daraus ergibt sich auch, dass das Konzil die Moderne nicht durchweg negativ, als Verfallsprozess, beurteilt, wie es so lange der Fall war, sondern dass es darin viel Positives findet, das die Kirche nicht verwerfen darf. Die Devise heißt daher nicht mehr wie vorher Widerstand und Abgrenzung, sondern Öffnung und Dialog. Die Kirche des Konzils will nicht als Machtfaktor und nicht in der Pose des allwissenden Lehrers auftreten, sondern als Gesprächspartner, der gemeinsam mit allen anderen um die Lösung der großen Probleme der jeweiligen Gegenwart ringt – nicht befehlend, belehrend oder fordernd, sondern argumentierend und sich um Verständigung bemühend. Das alles war als Aussage des höchsten kirchlichen Lehramts völlig neu.

Die wichtigste Entscheidung des Konzils im Dialog mit der Moderne ist die Erklärung über die Religionsfreiheit. Die traditionelle katholische Lehre hat die Anerkennung eines Rechts auf Religionsfreiheit immer abgelehnt. Dem Irrtum, so hieß es, komme kein Recht gegenüber der Wahrheit zu. Und da allein die katholische Kirche die wahre Kirche sei und sie allein die Wahrheit verkünde, dürfe der Staat im idealen Fall nur diese Kirche anerkennen. Andere Religionen und Konfessionen könnten geduldet werden, dürften aber nicht dieselben Rechte haben wie die katholische Kirche. Dies blieb die Lehre der Kirche bis – einschließlich – zu den für das Konzil vorbereiteten Entwürfen.

Hier hat das Konzil die bisherige Lehre grundlegend revidiert. Die Freiheit in Sachen der Religion, so die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“, ist in der Menschenwürde selbst begründet, also ein vorstaatliches Recht, das der Staat anerkennen muss. Religionsfreiheit ist ein „Recht der Person“, das „unabhängig von der objektiven Wahrheit der religiösen Überzeugung des einzelnen und unabhängig von seinem subjektiven Bemühen um diese Wahrheit besteht“. Deswegen muss der Staat prinzipiell und immer – also auch in den Fällen, in denen er sich als katholischer Staat versteht – das „Recht auf Freiheit in religiösen Dingen für alle Bürger und religiöse Gemeinschaften anerkennen und wahren“ (DH 7).

Dialog ist ferner das Grundprinzip der Aussagen des Konzils zur Ökumene und zu den nichtchristlichen Religionen. Zur Ökumene nur einige Stichworte: Das Gemeinsame ist stärker als das Trennende; Einigung durch Stärkung des Gemeinsamen; die anderen Kirchen sind Vermittler des Heils für ihre Mitglieder; ökumenischer Dialog immer auf der Ebene der Gleichberechtigung; wenn es Not tut, sollen die Katholiken immer die ersten Schritte tun. Mit dem Konzil hat sich die Kirche nun auch offiziell, als Gesamtkirche in die ökumenische Bewegung eingegliedert. Ökumene ist nicht mehr eine Art Hobby einzelner Gruppen, sondern verpflichtendes Engagement der Gesamtkirche. Das Konzil hat auch prinzipiell von der vorher herrschenden These Abschied genommen, eine Einheit der Christen sei nur durch einen bedingungslosen, als „Rückkehr“ verstandenen Anschluss an die römisch-katholische Kirche möglich, wobei allerdings konkrete Modelle nicht genannt werden.

Die Erklärung über die nichtchristlichen Religionen bringt eine grundsätzliche Neuorientierung im Verhältnis zum Judentum und überhaupt zu den nichtchristlichen Religionen. Im Blick auf das Judentum bringt das Konzil in Erinnerung, dass der Glaube, die Erwählung und Berufung der Kirche in Israel ihren Anfang haben, dass die Gnadengaben Gottes an das jüdische Volk und seine Berufung durch Gott unwiderruflich sind, und es verwirft dezidiert jeglichen Antisemitismus.

Über die nichtchristlichen Religionen hieß es in der offiziellen Lehre der Kirche stets, dort finde sich überhaupt nichts Wahres und nichts Gutes. Jetzt betont das Zweite Vatikanus, dass es dort „Wahres“ und „Heiliges“ gibt und dass die Kirche die konkreten Formen und Lehren dieser Religionen mit aufrichtigem Ernst betrachtet. Das Zweite Vatikanische Konzil kann hier den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, erstmalig in der Geschichte des kirchlichen Lehramts der letzten Jahrhunderte die nichtchristlichen Religionen positiv gewürdigt und die Haltung der Kirche auf eine neue Grundlage gestellt zu haben: von der Konfrontation zum Dialog.

Manuskript des gesamten Vortrags:
www.wir-sind-kirche.de/files/848_Gelbe%20Reihe%20Seibel.pdf

Zuletzt geändert am 15­.10.2012