Drei Jahre Papst Benedikt
Internationalen Bewegung Wir sind Kirche: „Das II. Vatikanische Konzil wird erneut in Frage gestellt“
Das Ende des über zwanzig Jahre währenden Pontifikats Johannes Pauls II. hätte unter der Führung und Inspiration des neuen Bischofs von Rom eine Wiederaufnahme des Reformprozesses der katholischen Kirche einleiten können, indem bei der Evangelisierung ein neues Vorgehen, das sich problemlos mit der modernen Welt verträgt, ins Blickfeld gerückt würde. Dies geschah nicht. Wir verfolgten die ersten drei Jahre der Amtszeit Benedikts XVI. sehr aufmerksam. Daher stellen wir nun einige Überlegungen an, weil wir die römisch-katholische Kirche wirklich von Herzen lieben. Wir sind in ihr geboren und aufgewachsen und kennen die großen pastoralen Probleme, mit denen sie sich am Beginn des dritten Jahrtausends auseinandersetzen muss.
Der größte Feind des Papstes ist der Relativismus, der wesentliche Schauplatz ist Europa, das entscheidende Gebiet ist „Familie und Leben“ und das „Werkzeug“ dieser Auseinandersetzung ist die Betonung des „rational“ und „natürlich“ begründeten Wesens der christlichen Ethik und Anthropologie. Es setzte sich folglich die Position derer durch, die von der rationalen Plausibilität des Glaubens überzeugt sind. Auf ihm basiert die katholische Kirche mit ihrer hierarchischen Struktur. Sie ist in erster Linie - oder ausschließlich - seine Bewahrerin; sie ist durch ihren Auftrag verpflichtet, in Fragen der Anthropologie, der Menschenrechte, der Ethik, der Natur und sogar in der Geschichtsauslegung stets endgültige Stellungnahmen abzugeben.
Für Papst Benedikt XVI. ist jede Gesellschaft, jede Kultur und fast jede Religion aufgefordert, sich nach den Werten zu richten, die er als geistliche Leitfigur der ganzen Welt vorgibt. Der generelle Denkhorizont ist nicht einmal allzu sehr verschleiert, er strebt wieder eine von der Kirche beseelte societas christiana an. Diese grundlegende Hypothese vertritt der Papst mit unvermeidlichen Vermittlungsversuchen und großer Vorsicht. Diese Hypothese – so scheint es – inspiriert sein Pontifikat. Die Folgen sind vielfältig, schwerwiegend und weit reichend. Wir wollen nun die wichtigsten aufzählen:
(1) Vom Phänomen Säkularisierung werden lediglich die negativen Aspekte wahrgenommen, ohne dass bemerkt wird, wie sehr diese jedoch einen rein gewohnheitsmäßigen Glauben läutern kann, der sich kaum auf das tägliche Leben bezieht und noch immer von zu vielen Gläubige praktiziert wird. Die Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils ist einen andere: Die Kirche und die Katholiken können von der Welt auch lernen und sie nicht nur belehren. Deshalb müssen sie eine positive Haltung der Begegnung und des Dialogs an den Tag legen, nicht im Lichte einer starren Doktrin, sondern im Lichte eines Glaubens, der vom Leben lernt. Die Botschaft aus Rom ist oft von Angst, Pessimismus, kritischem Urteil bestimmt. Einem kirchlichen Lehramt, das Angst hat, kann es nur schwerlich gelingen, echte christliche Hoffnung zu vermitteln. Das wäre aber die Aufgabe des Papstes, vor allem in schwierigen und unsicheren Zeiten wie jetzt, in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends. Wir sind von der „Pfingstbotschaft“, die sich Papst Johannes XXIII. wünschte, weit entfernt. Sie beflügelte das Zweite Vatikanum und erfüllt noch heute so viele Menschen und Gemeinschaften mit Leben, die als Christen ihren moralischen und gesellschaftlichen Standpunkt einnehmen.
(2) Ein striktes Zusammenwirken zwischen der theologischen Orientierung Benedikts XVI. und dem kirchlichen Lehramt hat zu einer Verhärtung der kirchlichen Doktrin und zu einer Neubetonung der immer stärker hierarchisch und autoritär ausgerichteten Struktur der Kirche geführt. Der Beweis dafür ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen –
- die Berufung „konservativer“ Bischöfe. Sie bekleiden die wichtigsten Ämter in der römischen Kurie;
- die Wiedereinführung des tridentinischen Ritus (mit der zu spät und unglücklich vorgenommenen Korrektur des Gebets für die Juden bei der Karfreitagsfürbitte) deren Folgen mehr Probleme schafft, anstatt dass sie diese gelöst hätte;
- die Wiederaufnahme der „Strafverfolgung“ von Theologen (in erster Linie sei hier Jon Sobrino genannt, der kurz vor Beginn der lateinamerikanischen Bischofskonferenz in Aparecida gemaßregelt wurde);
- die unglücklichen Äußerungen über den Islam bei der Regensburger Rede des Papstes;
- die Tatsache, dass die Inkulturation durch die Betonung des Wesenszusammenhanges zwischen christlichem Glauben und hellenistischer Kultur wieder in Frage gestellt wurde;
- die weltweit über die Medien verbreitete Taufe eines für seine gegenüber dem Islam ablehnende Einstellung bekannten Moslems durch den Papst in der Osternacht;
- das völlige Fehlen eines Schuldbekenntnisses hinsichtlich der Vergehen von Töchtern und Söhnen der Kirche;
- das wiederholte Festhalten an den Überzeugungen von Dominus Jesus (insbesondere durch die wenig durchdachten »Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche«);
- das anhaltend schleppende Angehen großer und immer dringender werdender Probleme (wie z. B. die Rolle des Bischofs von Rom und des Bischofskollegiums, die Ämterfrage, die Rolle der Frau in der Kirche, die Sexual- und Familienethik, die kirchliche Armut usw.).
(3) Der Verweis auf das Konzil ist im allgemeinen rituell erstarrt und manchmal tendenziös. In der »Ansprache an das Kardinalskollegium und die Mitglieder der römischen Kurie beim Weihnachtsempfang« vom 22. Dezember 2005 kam die Stellung Benedikts XVI. sehr deutlich zum Ausdruck. Dort bringt die Interpretation, das Konzils sei keine tiefgreifende Erneuerung, sondern lediglich eine Reform in grundsätzlicher Kontinuität des Lebens und der Lehre der Kirche gewesen, die unausgesprochene Ablehnung vieler seiner Inhalte mit sich, ja sogar die Weigerung, den Erneuerungsweg im »Geiste« des Konzils fortzusetzen. Von da an haben alle kirchlichen Milieus, die vor Veränderungen Angst haben, sich auf diese Ansprache berufen. Man stellt sich eine monolithische, selbstgenügsame Kirche dar und misstraut der reichen Mannigfaltigkeit an Ausdrucksweisen und Gefühlen, durch die das Verhältnis zwischen dem Menschen, der Gemeinschaft und Gott zum Vorschein kommt. Eine Folge ist die Schwäche, mit der das römische Lehramt an Probleme, Fehler, Freuden und Leiden der Frauen und Männer von heute herangeht. Es überwiegen doktrinäre Botschaften, belehrende Reden, Verurteilungen, Zurückweisungen. Andererseits, so scheint es, wird eine andere Antwort auf die ewige und nun erneut gestellte Sinnfrage gegeben, die nach dem Zusammenbruch vieler Ideologien unsere Gesellschaften durchdringt: das schlichte Wort des Evangeliums. Dieses ist das Ziel der Gläubigen und des Lehramtes.
(4) Der implizite Wille, eine christliche Kirche wieder zu errichten, sowie die Begegnung mit den säkularisierten und »relativistischen« Gesellschaften des Westens beanspruchen großteils die Aufmerksamkeit von Benedikt XVI. und bringen ihn de facto dazu, sein Lehramt eindeutig eurozentrisch zu gestalten. Die großen und nach wie vor dramatischen Probleme wie Nord-Süd-Gefälle, Friede und Krieg, Aufrüstung (insbesondere mit Nuklearwaffen), Umweltschutz und soziale wie wirtschaftliche Zukunft der Erde spielen kaum eine Rolle. Die Option für die Armen wird auf eine Nebensache reduziert, während der Einsatz für den Frieden reduziert wird auf den Spielraum, den der Westen der Kirche gestattet. Statt prophetisch himmelschreiende Vergehen anzuprangern, werden sehr häufig unverbindliche oder zumindest unverbindlich klingende Worte gemacht. Allerdings wissen wir, dass in einigen Monaten eine neue Enzyklika erscheinen soll, die die großen Probleme der Welt thematisieren wird. Wir hoffen, dass dieses Dokument das gegenwärtige Unrecht mit dem prophetischen Ton anprangert, der bis jetzt nur selten und nur schwach zu hören war. Wenn diese Enzyklika so progressiv ausfallen würde, könnte Benedikt XVI. damit einen neuen Kurs in seinem Pontifikat einschlagen.
(5) Durch die übertriebene Betonung der Zentralität der römischen Kirche ist die Ökumene an einem Tiefpunkt angelangt. Es wurde herausgestellt, dass die Kirchen der Reformation »keine Kirchen im eigentlichen Sinne« seien. Trotz einiger höflicher Worte meinen Benedikt XVI. und die römische Kurie in Wirklichkeit, die Kirchen der Reformation seien kaum »wiederzuerobern«, da sie, indem sie sich an die moderne Welt angepasst hätten, das Evangelium »verschleudert« hätten; hingegen werden den orthodoxen Kirchen die Türen geöffnet (wobei die unterschiedlichen Ansichten hinsichtlich der Stellung des Papstamtes unüberwindlich bleiben); denn diese ergreifen wie Rom Partei gegen den Modernismus.
Zusammenfassend sei festgestellt: Es scheint, dass Ratzinger – in Verkennung des Zweite Vatikanums – gewissermaßen den Weg einer »Gegenreform« eingeschlagen hat. Wir wünschen uns sehr, dass dieses an Schattenseiten noch viel zu reiche Pontifikat einen Wendepunkt erreicht. Seit jeher ist unser Anliegen, dass der Bischof von Rom durch seinen Verzicht auf historische Vorrechte zum glaubhaften Zeugen des Evangeliums werden kann, so dass er all seine Mitbrüder im Bischofsamt und die ganze römisch-katholische Kirche dazu ermuntern kann, den Weg der Nachfolge Jesu zu gehen – damit die Welt glaubt.
Internationale Bewegung Wir sind Kirche
Rom, Amsterdam, Berlin, Brüssel, Kopenhagen, Dublin, Helsinki, Madrid, Lissabon,London, Oslo, Paris, Stockholm, Washington
14. April 2008
Übersetzung aus dem Italienischen: Marcus Schrömer, Riccardo Nanini, Matthias Blaha
Hintergrund
Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche - eine Graswurzel-Bewegung Reform der Kirche von Laien, Priester, Ordensleute und Personen - wurde in Österreich und Deutschland in den Jahren 1995 und dann in Europa und allen Kontinenten. Wir sind Kirche ist in mehr als zwanzig Ländern und ist in Kontakt mit anderen Reform Bewegungen auf der ganzen Welt. Sein Ziel ist es, den Prozess der Reformen in der römisch-katholischen Kirche, ein Prozess, der bereits geöffnet war mit Vatikanische Konzil (1962-1965) und kam zu einem Stillstand in den letzten Jahren. Website: http://www.we-are-church.org
Die Internationale Bewegung Wir sind Kirche unterstützt den an alle Katholikinnen und Katholiken gerichteten Aufruf von Voice of the Faithful (VOTF) zur Umgestaltung unserer Kirche: http://votf.org/petition
Kontakt:
Christian Weisner (Deutschland)
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Hans Peter Hurka (Österreich)
+43-1-315 4200 hans_peter.hurka@gmx.at
Anthony Padovano (USA)
+1-973-539-8732 tpadovan@optonline.net
Aisha S. Taylor (USA)
+1-202 422-2235 ataylor@WomensOrdination.org
Raquel Mallavibarrena (Vorsitzende) (Spanien)
+34-649332654 rmallavi@mat.ucm.es
Vittorio Bellavite (Italien)
+39-02-70602370 vi.bel@IOL.IT
Edith Kuropatwa-Fèvre (Belgien)
+32-2-56 70 964 ekf.paves@telenet.be
Ana Vicente (Portugal)
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Hubert Tournès (Frankreich)
+33-240119873 hubertournes@orange.fr
Zuletzt geändert am 16.04.2008