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Veröffentlicht am 07­.11.2014

November 2014 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Wider die Unbarmherzigkeit!

Familie erlebe ich als etwas, das mich umgibt. Zwischen uns bestehen Verantwortlichkeiten, die wir füreinander und miteinander wahrnehmen. Familie ist etwas Lebendiges, das sich immer ändert und doch in vielem bestehen bleibt. Zu meiner Familie gehören Menschen, mit denen ich verwandt bin, und solche, die mir sozusagen zugewachsen sind. Es gibt solche, mit denen mich nur das Familie-Sein verbindet und solche, die zu meinem Lebensinhalt gehören. In ihr gibt es Gelungenes, Gebrochenes und Neuanfänge.

Familie heißt Lebensweitergabe, nicht nur in biologischer Hinsicht, sondern im Sinne von Zuwendung, Nähe, Vertrautheit, Treue. Diese Lebensweitergabe funktioniert nicht nur in eine Richtung, sondern auch „rückwärts“, wenn z.B. Kinder für ihre Eltern oder kinderlose Onkel und Tanten Verantwortung übernehmen wenn sie alt, krank oder gebrechlich sind, wenn Menschen mehrerer Generationen in einer wie auch immer gearteten Familie verbindlich füreinander da sind. Wenig davon finde ich in den Verlautbarungen der katholischen Kirche. Die Familie, die dort beschrieben wird, besteht aus Vater, Mutter und Kindern. Das entspricht einem bürgerlichen Familienmodell, das sich in Europa im 19. Jahrhundert in bürgerlichen Kreisen entwickelt hat. Treue, Partnerschaft, Verlässlichkeit und Verantwortung über Generationen hinweg werden nur innerhalb einer sakramental geschlossenen Ehe zwischen Mann und Frau angesiedelt.

Das Scheitern, das jeglicher Form menschlicher Beziehung innewohnt, hat in den Idealvorstellungen kirchlicher Lehre keinen Platz. Ebensowenig die Vorstellung, dass auch homosexuelle Paare eine fruchtbare Beziehung leben, wenn sie Lebensweitergabe im Sinne von Verantwortung und Treue praktizieren. Daher bestraft die Amtskirche den Neuanfang nach einer gescheiterten sakramental geschlossenen Ehe oder die offene und ehrliche homosexuelle Partnerschaft mit Ausschluss und Diskreditierung. Es weht nun ein Hauch von Veränderungsbereitschaft durch die Kirche. Hoffen wir dass er nicht allzu schnell verfliegt.

Es kann nicht darum gehen, denen, die an den Hürden der kirchlichen Dogmatik scheitern, barmherzig zu begegnen. Vielmehr geht es darum, die Unbarmherzigkeiten der römischen Lehre aufzudecken und zu hinterfragen.

Es ist an der Zeit, das Gebot der Nächstenliebe als wichtigstes Gebot auch für die Familie neu zu deuten und zu füllen, denn dieses Gebot umfasst nicht nur die Beziehung zu ferner Stehenden sondern insbesondere auch die zu den Menschen, die einander ganz nahe gekommen sind.

Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche-Deutschland

Zuletzt geändert am 07­.01.2015