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Veröffentlicht am 05­.12.2013

5.12.2013 - Hannoversche Allgemeine Zeitung

Der römische Reformator

Ausgerechnet ein Papst ist zum Hoffnungsträger derer geworden, die die Kirche erneuern wollen – doch ein klassischer Liberaler ist Franziskus nicht

Von Simon Benne

Die Römer haben ein Faible für solche Geschichten. Zwei Fahrstühle, so erzählt man sich in der Stadt, soll es im Gästehaus des Vatikans geben. Einen davon haben die Zeremonienmeister für den Papst reserviert, der nach seiner Wahl im März kurzerhand im Gästehaus wohnen blieb, statt in seinen schmucken Palast einzuziehen. Doch mit diesem Aufzug fährt Franziskus nie. Er nimmt prinzipiell den anderen, den auch der Rest der Christenheit benutzt. Und so steht der päpstliche Privatfahrstuhl praktisch still. Ein ausrangiertes Stückchen Kirche. Ein abgelegtes Privileg. Ein Relikt einer vergangenen Zeit.

Mit dem neuen Papst hat ein neuer Stil im Vatikan Einzug gehalten: Kein Auto ist Franziskus klein genug, keine Mahlzeit schlicht genug, und kein Mensch ist zu gering, um nicht von ihm umarmt zu werden. Am Gründonnerstag hat er Häftlingen im Jugendknast die Füße gewaschen. Seine erste Reise hat ihn zu den Bootsflüchtlingen auf Lampedusa geführt. Angeblich soll der Argentinier sogar nachts auf heimlichen Streifzügen durch die Stadt schleichen, um Obdachlosen Geld zuzustecken, erzählt man sich in Rom – Katholiken kennen solche Szenen aus klassischen Heiligenlegenden.

Tatsächlich gelingt dem Mann, der in jungen Jahren als Türsteher in Buenos Aires gearbeitet hat, ein Kunststück. Er ist der oberste Repräsentant seiner Kirche – und zugleich ihr schärfster Kritiker: Die Kirche dürfe nicht um sich selbst kreisen, predigt er unablässig, sie müsse arm und an der Seite der Armen sein, sie dürfe nicht in bürgerlichen Strukturen erstarren. Konservative applaudieren ihm, weil der Papst nun mal der Papst ist – doch auch Kritiker und Kirchenferne sind oft ganz seiner Meinung.

„Wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann würde ich Papst Franziskus bitten, im Willy-Brandt-Haus zu reden“, hat SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt mit Blick auf das jüngste Apostolische Schreiben des Pontifex bekannt. Darin zeigt Franziskus sich als scharfer Kritiker des Kapitalismus, er geißelt die Tyrannei des „vergötterten Marktes“ – zur Begeisterung Gabriels: „Besser kann das kein Sozialdemokrat formulieren.“

Auch Protestanten loben – und zwar ungefragt – den „Bischof von Rom“, wie sie den Papst gern kollegial nennen. Gleich mehrmals kam Hannovers Landesbischof Ralf Meister vergangene Woche in seiner Rede vor der Synode auf Franziskus zu sprechen: „Geld muss dienen, nicht regieren“, zitierte er ihn unter dem Applaus der Kirchenparlamentarier. Ganz zu Recht setze der Papst auf eine Dezentralisierung der Kirche, sagt Meister: „Die Zukunft des Glaubens hängt nicht an den Strukturen.“

Das Lob des Bischofs von Hannover für den Bischof von Rom wiegt vielleicht besonders schwer. Denn während Laien den neuen Papst meist nur als irgendwie unkonventionellen, netten Typen wahrnehmen, wird für Kirchenleute immer deutlicher, dass Franziskus sich offenbar anschickt, seine Kirche tatsächlich an Haupt und Gliedern umzukrempeln: In diesen Tagen berät in Rom zum zweiten Mal der von ihm berufene achtköpfige Kardinalsrat, der die Kurie reformieren soll. Es gehe nicht um kosmetische Korrekturen, sondern um einen „großen Wurf“, ließ ein Vatikansprecher durchblicken. Offenbar soll die zuletzt oft zentralistisch agierende Kurie eine Art Dienstleistungsbetrieb für die Bistümer in aller Welt werden.

Den umstrittenen Staatssekretär Tarcisio Bertone hat Franziskus bereits gegen den versierten Diplomaten Pietro Parolin ausgetauscht. Und auch in der skandalumwitterten Vatikanbank hat er Schlüsselpositionen neu besetzt. Dazu wurden Tausende Konten geschlossen, spekulative Geschäfte mit Kundengeldern sind dort künftig tabu. Und vielleicht ist das erst der Anfang: „Wozu braucht die Kirche überhaupt eine Bank?“, hat Franziskus gefragt.

Ausgerechnet ein Papst ist so zum Hoffnungsträger der liberalen Katholiken geworden. „Ich glaube, dass wir am Anfang einer neuen Kirchenepoche stehen“, sagt Christian Weisner optimistisch. Vor 18 Jahren hat er in Hannover das „Kirchenvolksbegehren“ gegen Zölibat und muffige Sexualmoral initiiert. Unermüdlich kämpft er seither für Reformen. „Es fällt mir schwer, etwas zu finden, das der Papst bislang falsch gemacht hat“, sagt er jetzt. Er macht eine Pause, als sei er verwundert über sich selbst. „Vor einem Jahr hätte ich nicht gedacht, dass ich so einen Satz so bald sagen würde.“

Freilich weiß noch niemand, ob es wirklich zur großen Kurskorrektur kommt: Was, wenn der Mittelbau der Großorganisation Kirche nicht mitzieht? „In Afrika oder Asien leben viele Katholiken in patriarchalischen, wenig demokratischen Gesellschaften – und auch bei uns tun sich viele Bischöfe mit einem Mentalitätswechsel schwer“, fürchtet Weisner. Und allmählich melden sich auch konservative Kirchenmänner wieder zu Wort: Er habe es zunächst als „Affront“ des neuen Papstes gegen dessen Vorgänger gesehen, dass Franziskus nicht in den Papstpalast eingezogen sei, erklärte jetzt Georg Gänswein, der Sekretär von Benedikt XVI. Offenbar tut der Erzbischof sich schwer mit Franziskus’ Reformeifer: „Ich warte jeden Tag von Neuem, was heute anders sein wird“, erklärte er lakonisch in der „Zeit“.

Die beiden Päpste unterscheidet dabei neben dem Temperament wohl vor allem ihr unterschiedliches Kirchenverständnis: Während der randscharfe Katholizismus von Benedikt XVI. die Kirche eher als Versammlung der letzten Getreuen ansah, als „heiligen Rest“, will Franziskus eine Kirche, die „auf die Straßen hinausgeht“. In Sachen Glaube und Moral hingegen liegen beide gar nicht so weit auseinander: So lobte der gestandene Kirchenkritiker Hans Küng unlängst zwar, dass Franziskus die Laien stärke. Doch zugleich bemängelte er eine „undifferenzierte Ablehnung der Abtreibung und der Frauenordination“ auch bei ihm: „Hier zeigen sich wohl dogmatische Grenzen dieses Papstes.“ Auch, wenn Franziskus versöhnliche Töne gegenüber Homosexuellen anschlägt, wird er deren kirchenrechtliche Lage wohl nicht ändern.

Vielleicht erscheinen die Unterschiede zwischen altem und neuem Papst gravierender, als sie in Wirklichkeit sind: Wenn Benedikt eine „Entweltlichung“ der Kirche anmahnte, rollten auch manche Katholiken angesichts so viel intellektueller Weltfremdheit mit den Augen. Aus dem Munde des Argentiniers hingegen klingen ganz ähnliche Forderungen nach dem Sound der linken südamerikanischen Befreiungstheologie.

Einige Reformkatholiken hoffen, Franziskus könnte endlich den Forderungskatalog abarbeiten, den sie selbst über Jahrzehnte immer wieder vorgetragen haben. Dabei ist Franziskus wohl kein Liberaler im klassischen Sinne. Vermutlich passt sein Denken gar nicht ins gängige politische Schema: „Er ist weder konservativ noch progressiv“, sagt der Theologe Paul Michael Zulehner. Wenn Franziskus voran will, will er im Grunde zurück – bis an die Wurzel seiner Religion: Er selbst sagt, man müsse Jesus aus den „langweiligen Schablonen“ befreien, in welche die Kirche ihn gepresst habe. „Der Papst“, sagt Zulehner, „ist vor allem radikal.“





Papst Franziskus über ...

... die Gläubigen: „Ein Verkünder des Evangeliums darf nicht ständig ein Gesicht wie bei einer Beerdigung haben.“
... sein Lehramt: „Ich glaube nicht, dass man vom päpstlichen Lehramt eine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten muss, welche die Kirche und die Welt betreffen.“
... die Kirche: „Mir ist eine ,verbeulte’ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit krank ist.“
... das Papsttum: „Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von anderen verlange, muss ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken.“
... die ökonomische Weltordnung: „Diese Wirtschaft tötet.“
... über Zentralismus: „Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche.“
... über Abtreibung: „Es ist nicht fortschrittlich zu glauben, man löse Probleme, indem man menschliches Leben vernichtet. Doch es trifft auch zu, dass wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren Situationen befinden.“
... die Sakramente: „Die Eucharistie ist (...) nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Diese Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen.“

Zuletzt geändert am 05­.12.2013