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Veröffentlicht am 14­.12.2008

14.12.2008 - Linkszeitung

Glückwünsche: Der Befreiungstheologe Leonardo Boff wird 70

Die Macht des Volkes, sich zu befreien

Von Klaudia Ring

Rom (LiZ/klr). Der Theologe Leonardo Boff, Träger des Alternativen Nobelpreises, feiert heute seinen 70. Geburtstag. Die Internationale Bewegung "Wir sind Kirche" (Mouvement international Nous sommes Eglise) gratuliert Boff und dankt ihm "für seine theologischen, politischen und spirituellen Impulse, die auch die basiskirchlichen Bewegungen in Europa entscheidend geprägt haben und weiterhin prägen". Boff gehört zu den führenden Vertretern der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung, jener prophetischen Bewegung, die seit den 1960er Jahren konsequent Orientierungen und Hoffnungen aus der Sicht der Armen und Unterdrückten aus der Bibel erschloss und dabei aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen und Abhängigkeiten in den Blick nahm.

Nach einer glänzenden theologischen Karriere als Schüler von Karl Rahner (Korrektur: Boff war nicht Schüler von Joseph Ratzinger) vollzog Boff mit seinem Buch "Jesus der Befreier" (1972) den Schritt "von der erlernten Theologie der modernen Welt zu einer Theologie der Welt der Armen". In Deutschland wurde Boff vor allem bekannt durch seine, inzwischen als Taschenbuch in 4. Auflage erschienene "Kleine Sakramentenlehre".

"Kirche – Charisma und Macht" - ein Sprengsatz aus Papier

Auslöser für den tiefgreifenden Konflikt mit Rom war das 1981 erschienene Buch "Kirche – Charisma und Macht", in dem er der römisch-katholischen Kirche Machtmissbrauch vorhielt und die hierarchische Amtsstruktur als nicht-biblisch kritisierte. Unter Bezug auf die Reformation kritisierte er das "paternalistische Sakramentsverständnis" und stellte dem die lebendige, prozessuale Kirche der Armen gegenüber: "Die Kirche der Reichen für die Armen verneint die Macht des Volkes, sich zu befreien."

Joseph Alois Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., war damals einer seiner Doktorväter. Als Präfekt der Glaubenskongregation erteilte Ratzinger Boff später ein einjähriges Rede- und Lehrverbot, das für dessen weltweite Bekanntheit sorgte. "Als Ratzinger nach Rom ging, übernahm er die Logik des römischen Systems, die Logik der Macht", sagte Boff vor wenigen Monaten in einem Interview. "Das enttäuschte mich. Als Papst wurde er noch schlimmer."

In der Erklärung der Glaubenskongregation "Dominus Jesus" wurde Boff als einziger Theologe namentlich erwähnt. Der Streit mit Kardinal Ratzinger lebte danach erneut auf, vor allem an der Frage um die Auslegung des "subsistit" (= "verwirklicht"; II. Vatikanum, Kirchenkonstitution Art. 8), in der Ratzinger die römisch-katholische Kirche als einzige Verwirklichung der wahren Kirche sieht und den anderen Kirchen nur "Elemente von Kirche" zugesteht.

Im Oktober 2007 kritisierte Boffs Bruder Clódovis, mit dem er früher wichtige Grundlagenwerke zur Theologie der Befreiung verfasst hatte, die Theologie der Befreiung aufs schärfste und charakterisierte die Konferenz von Aparecida als neuen Weg der Kirche zur Befreiung. Auf diese Kritik seines 1944 geborenen Bruders erwiderte Leonardo Boff, es sei ein Fehler, Gott und die Armen in der Theologie voneinander trennen und gegeneinander aufrechnen zu wollen. Mit seiner Kritik nütze Clódovis Boff nur denjenigen, die immer schon die Theologie der Befreiung aus der Kirche verbannen wollten.

Die Europäer sollten befreiend denken und handeln

"Die Theologie der Befreiung ist ... keineswegs am Ende, auch wenn sie heute weniger aufsehenerregend Glauben und Handeln der Christen bestimmt. Trotz aller Konflikte und mancher persönlichen Tragik ist es Theologen wie Leonardo Boff zu verdanken, dass sich der Glaube der Christen auf eine wichtige Gewissenserforschung eingelassen und erneuert hat", schreibt Stephan U. Neumann aktuell in "Christ in der Gegenwart" 50/2008.

Auf seiner jüngsten Vortragsreise im Herbst 2008 in der Schweiz appellierte Leonardo Boff erneut eindrücklich, auf den "Schrei der Armen" zu hören. Auf die Frage, was Europäer für das lateinamerikanische Volk tun können, sagte Boff: "Sie können uns helfen, wenn sie in ihren eigenen Ländern und Kirchen auch befreiend denken und handeln."

Leonardo Boff, wurde am 14. Dezember 1938 in Concordia (Südbrasilien) geboren, trat 1959 in den Franziskanerorden ein und wurde 1964 zum Priester geweiht. In München studierte er bei Karl Rahner und promovierte 1970 bei Leo Scheffczyk mit der Arbeit "Die Kirche als Sakrament im Horizont der Welterfahrung". Boff war lange Professor für systematische Theologie am Instituto Teológico Franciscano in Petrópolis, ab 1993 Professor für Ethik und Theologie in Rio de Janeiro und mehrfach Gastdozent in Europa sowie in den USA.

Im Jahr 1985 erhielt Boff den Preis der Herbert Haag-Stiftung für Freiheit in der Kirche. Als ihm 1992 erneut ein Bußschweigen verordnet und die Lehrerlaubnis entzogen werden sollte, legte er das Priesteramt nieder, trat aus dem Franziskanerorden aus und heiratete 1993 die Theologin und Menschenrechtlerin Marcia Monteiro da Silva Miranda. 2001 erhielt er mit anderen den Alternativen Nobelpreis. In dem Jahr trat er auch bei einer von der KirchenVolksBewegungung mitorganisierten Veranstaltung auf dem Evangelischen Kirchentag in Frankfurt auf.

Zuletzt geändert am 15­.12.2008