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Veröffentlicht am 23­.10.1995

23.10.1995 - Focus

Aufstand der Lämmer

KIRCHENVOLKSBEGEHREN
Die Vertreter der Amtskirche reagieren unerwartet schroff auf die Anliegen der Basis

Von Norbert Robers

Deutschlands Klerus mag nicht mehr hinschauen. Als hätten die Würdenträger mit Austritts-Dauerwellen, einer millionenschweren Finanzkrise und peinlichen Sex-Skandalen nicht schon genug Sorgen um die Zukunft der katholischen Kirche. Seit einigen Wochen formiert sich zudem an der Basis eine Art moderner Kreuzzug, der, so Kölns Erzbischof Joachim Kardinal Meisner, der „katholischen Grundüberzeugung“ schlechthin „fremd“ sei. Jetzt helfe nur noch eins: beten. Zu spät.

Die reformdurstigen Truppen des ersten deutschen „KirchenVolksBegehrens“ sind längst zu ihrem Marsch in die 11 000 Gemeinden aufgebrochen. Bewaffnet mit Tausenden Unterschriftenlisten, werben sie bis zum 12. November unter den 28 Millionen Katholiken dafür, Frauen als Priesterinnen zuzulassen, ein demokratisches Wahlverfahren für Bischöfe einzuführen, verlangen das Ende des Zölibats und fordern „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“.

Am 3. Dezember wollen sie der Deutschen Bischofskonferenz das Zähl-Ergebnis mit der Bitte um Weiterleitung an den Vatikan präsentieren. Motto der Begehrenden: „Wir sind Kirche.“

Als plakativ und polarisierend verurteilt die Bischofskonferenz – Adressat der Klagen – den stimmgewaltigen Aufschrei von unten. Es handle sich um eine private und damit bedeutungslose Initiative. Ihr Vorsitzender Karl Lehmann „verabscheut“ gar „diese Allerweltsthemen und die kirchliche Nabelschau“.

Der Ton hat sich verschärft: Die Bistumsleitungen haben vielerorts angeordnet, den rund 800 Initiativgruppen Kirchenräume als Diskussionsorte zu versperren. „Aus Angst um ihre Macht“, urteilt der 44jährige Hannoveraner Stadtplaner Christian Weisner, der von seinem vollvernetzten Wohnzimmer aus das Volksbegehren organisiert. „Einige Bischöfe reagieren wie Fürsten.“

Dabei sind die Forderungen nicht neu. Reformisten und klerikale Fundamentalisten streiten seit Jahren über eine Kurskorrektur. Neu ist aber offenbar nicht nur für den Dresden-Meißener Bischof Joachim Reinelt der „liberalistische Meinungsdruck“, den die erwarteten zwei Millionen Unterzeichner und mehrere Meinungsumfragen entwickeln.

Reinelt reagierte auf das Massenvotum wie die Mehrheit seiner Kollegen und verbot die Ankündigung der Aktion in Gottesdiensten: Das Volksbegehren sei nichts anderes „als das Nachäffen einer demokratischen Methode“. Und wie man wisse, „gibt es in der Kirche keine Demokratie“.

Der Fuldaer Generalvikar Ludwig Schick beließ es ebenfalls nicht bei einer verbalen Absage. Er wies alle Pfarreien im Bistum an, „Mittel und Kräfte für dieses keineswegs förderungswürdige Vorhaben“ zu verweigern. Sein Paderborner Amtskollege Bruno Kresing untersagte der örtlichen Kontaktgruppe des Volksbegehrens, zum Dialog in die katholische Hochschulgemeinde einzuladen.

Die Basis ist insbesondere über die harsche Diskussionsverweigerung vieler Würdenträger entsetzt. Der Kölner Religionspädagoge Klaus Becker empfindet die Reaktion „meiner Kirche als unerwartet schroff. Und von welchem Dialog spricht die Kirche überhaupt? Der findet bisher doch nur mit handverlesenen Laien statt.“

Im Bistum Hildesheim, so berichtet die seit zwölf Jahren im Firmungsdienst engagierte Katholikin Christa Hillebrandt, „gibt es nirgendwo Informationen“. Im Gegenteil: „Auf dem Land verbreiten einige Pfarrer regelrecht Angst vor der Aktion.“

Über solch subtile Methoden ist Pfarrer Heribert Duschinski aus dem mecklenburgischen Pasewalk längst hinaus. Als ob mit dem Volksbegehren das Jüngste Gericht über ihn persönlich hereinzubrechen drohe, schreckt der Geistliche vor keinem Vergleich zurück: „Dazu gibt es überhaupt keine Diskussion. Das sind ja Methoden wie bei den Kommunisten und Nazis.“

Im Osten Deutschlands, wo noch allzugut die Atheismus-Dogmen des Staatsrats in den Ohren klingen, hält sich die Begeisterung für den westdeutschen Reformdrang ohnehin in Grenzen. Fünf Jahre nach der Einheit steht nur wenigen Neu-Bundesbürgern der Sinn danach, der politischen Revolution eine kirchliche Konfrontation folgen zu lassen. Ihre Stimme wäre zudem sehr schwach: Nur rund fünf Prozent der Ostdeutschen bekennen sich zum Katholizismus.

„Die meisten Menschen hier interessiert das nicht. Die wollen nur in Ruhe gelassen werden“, weiß Bernward Seipel, der eine Initiativgruppe in Thüringen vertritt. „Über den Zölibat oder Frauen als Priesterinnen hat sich doch hier kaum jemand Gedanken gemacht. Die Katholiken waren in der 40 Jahre andauernden doppelten Diaspora froh, daß sie überhaupt ein kirchliches Leben aufrechterhalten konnten.“

Bei der Stralsunder Rentnerin Inge Völltmann löst allein der Begriff Volksbegehren Schaudern aus. „Wir haben zu DDR-Zeiten zu oft irgendwelche Solidaritätsbekundungen unterschreiben müssen.“

Ursula Sobotzki, die in Dresden Unterschriften sammelt, kennt einen weiteren Grund für die Zurückhaltung ihrer Landsleute: „Viele Gläubige wollen nicht ausgerechnet die Institution angreifen, bei der sie sich zu DDR-Zeiten behütet gefühlt haben.“

Die selbstbewußten westdeutschen Aktivisten kann der geistliche Gegenwind dagegen nicht stoppen. Beseelt von einer „sagenhaften Aufbruchstimmung“ (Christian Weisner), haben sie sich in den europäischen Stafettenlauf eingereiht – am 18. November folgt das Volksbegehren in Flandern. „Irgendwann wird sich der Vatikan umzingelt fühlen“, gibt Christian Weisner einen Einblick in die Taktik der Kirchenrevoluzzer für ihren Marsch auf Rom.

Solch banale Hürden wie Haus- und Gesprächsverbote überspringen sie, das große Ziel einer reformierten Weltkirche fest im Blick, mit Leichtigkeit: Die aus der katholischen Hochschule ausgesperrte Paderborner Kontaktgruppe verlegte die Sitzungsrunden kurzerhand in die Räume der evangelischen Studentengemeinde.

Wichtigstes Schriftgut für jeden „Frohbotschafter“: das Rechtsbuch der katholischen Kirche (Codex Iuris Canonici). Den dritten Paragraphen des Canons 212 kennen sie längst auswendig, wie ein Schild halten sie ihn ihren Kritikern entgegen: „Entsprechend . . . ih-rer Zuständigkeit und ihrer hervorragenden Stellung haben die Gläubigen das Recht und bisweilen sogar die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, den geistlichen Hirten mitzuteilen . . .“

Dieser christlichen Obliegenheit wol-len sich schließlich auch viele Laienverbände nicht entziehen. Eine andere Form als die des laufenden Zählappells hätten sie sich schon gewünscht, urteilen sie. Den Anstoß zum Dialog begrüßen sie dagegen, die Forderungen seien aktuell und diskussionswürdig.

Die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) unterstützt das Volksbegehren vor allem, weil es „auch denen eine Stimme gibt, die sonst in der Kirche nicht zu Wort kommen“. Margret Pernhorst, Vorsitzende des Diözesankomitees der katholischen Verbände im Bistum Münster, bewertet die Aktion als ein „begrüßenswertes Signal“. Tatsächlich seien viele Gläubige „voller Frust“ angesichts des „oft zu steifen Dialogs“, den die Kirche anbiete.

„Etwas Neid“ sei „sicher auch im Spiel“, meint Margret Pernhorst, wenn einige Kirchenvertreter jetzt vorschnell die grundsätzlich „richtig gestellten Fragen“ ignorieren würden. Denn: „Beim Volksbegehren springt der Funken zu den Gläubigen schon schneller über. Wir müssen uns fragen, warum bei uns viele Menschen nicht mehr bereit sind, den Dialog anzunehmen.“

Die Antwort ist schnell gefunden: Den konkreten und aktuellen Themen der Kirchenstürmer stehen oft schwerfällig klingende Gesprächsofferten gegenüber, wie es das Motto des diesjährigen Münsteraner Diözesanforums beispielhaft belegt: „Mit einer Hoffnung unterwegs“.

Nur: Diese Reise machen immer weniger Gläubige mit.

Das Volksbegehren ist allerdings nicht zuletzt wegen des be-quemen Verfahrens populär. Mit dem sicheren Gefühl, mittels der Unterschrift alles Notwendige für die geforderte Reform der Kirche getan zu haben, fällt vielen Interessierten ihr Plazet leicht.

„Natürlich gibt es solche, die sagen: Ich mache mein Kreuz, und wenn sich wirklich was getan hat, dann ruf mich an“, weiß der Paderborner Unterstützer Josef Schopohl. Dies mindere jedoch keineswegs den Erfolg des Volksbegehrens: „Endlich reden wieder viele Menschen über ihre Kirche, von der sie sich schon abgewandt hatten.“

„Aber alle Punkte werden doch schon seit Jahren in der Kirche diskutiert“, betont der Paderborner Bistumssprecher Hermann-Joseph Rick, den vielmehr die „Verdunstung des Glaubens“ umtreibt. „Was nutzt der Dialog, wenn der Papst am Ende immer sagt: Gehandelt wird trotzdem nicht“, fragt dagegen Josef Schopohl. Initiativgründer Weisner, den täglich bis zu 400 Briefe erreichen, propagiert Stehvermögen: „Wir werden auch nach dem 12. November immer wieder die Forderungen ansprechen. Wir müssen jetzt aufstehen, damit sich im Jahr 2030 etwas ändert.“

Auf erste Signale von der Bischofskonferenz oder aus Rom wollen Christian Weisner und seine Mitstreiter allerdings nicht so lange warten. In zwei Jahren wollen sie prüfen, ob die Kirche dem Votum tatsächlich Rechnung getragen hat.

Für diese Aufgabe wurde jetzt eigens eine Initiativgruppe mit einem vorausschauenden Namen gegründet: „Danach“.

„Auf dem Land verbreiten einige Pfarrer regelrecht Angst vor der Aktion“ CHRISTA HILLEBRANDT AKTIVE KATHOLIKIN IM BISTUM HILDESHEIM

FORTSCHRITTLICH

76 % der Deutschen befürworten das KirchenVolksBegehren,

15 % sind dagegen.

Nur 11 % halten den Papst für unfehlbar.

67 % empfinden die katholische Kirche als sexualfeindlich

MIT VERBOTEN UND GEBETEN: BISCHÖFE GEGEN BASIS

JOACHIM KARDINAL MEISNER Ein Volksbegehren sei der katholischen Kirche „fremd“, findet der Kölner und baut auf Gebete

ERZBISCHOF J. J. DEGENHARDT Für überflüssig hält man in Paderborn eine solche Aktion – die Fragen würden bereits diskutiert

BISCHOF JOACHIM REINELT Er verbot Werbeaktionen von der Kanzel, stellt fest: „In der Kirche gibt es keine Demokratie“

Zuletzt geändert am 18­.11.2008