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Veröffentlicht am 01­.11.2025

1.11.2025 Kirche In, Kolumne „Unzensiert“

Der rote Faden vom Kirchenvolks-Begehren zur Weltsynode

Wer hätte damals gedacht, dass aus dem vor 30 Jahren in Österreich gestarteten ersten Kirchenvolks-Begehren eine weltweite Reformbewegung entstehen würde? Noch ein Jahr zuvor hatten Papst Johannes Paul II. und sein damaliger Glaubenspräfekt Joseph Ratzinger jede Diskussion über die Frauenweihe verboten. Im Jahr 2001 wurden alle Fälle sexualisierter Gewalt weltweit bei Androhung der Exkommunikation unter das „päpstliche Geheimnis“ gestellt, was erst durch Papst Franziskus aufgehoben wurde.

Nach dem phänomenalen Erfolg des Kirchenvolks-Begehrens 1995 in Österreich haben wir in Deutschland, obwohl es keinen so prominenten Missbrauchsskandal wie um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groër gab, noch im selben Jahr mit denselben Forderungen prozentual übrigens genauso viele Unterschriften erhalten: Mehr als 1,8 Millionen. Doch der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, schrieb seinen bischöflichen Mitbrüdern, das Kirchenvolks-Begehren sei keine geeignete Methode und auch kein geeigneter Beitrag zur Klärung der angesprochenen Fragen, die wir im Übrigen nicht für die vordringlichsten in der heutigen Situation der Kirche halten würden…

In Deutschland war erst 2010 das Jahr „annus horribilis”, das mit der Aufdeckung jahrzehntelang vertuschter sexualisierter und spiritueller Gewalt am Berliner Canisius-Kolleg der Jesuiten begann. Die daraufhin von 2014 bis 2018 im Auftrag der deutschen Bischöfe durchgeführte „Missbrauchsstudie“, die sogenannte MHG-Studie (benannt nach den Orten der Forschungsinstitute in Mannheim, Heidelberg, Gießen), zeigte die systemischen Ursachen auf. Jetzt sahen sich die Bischöfe gezwungen, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken um Mithilfe zu bitten. In gemeinsamer Verantwortung starteten sie den „Synodalen Weg“, ein wichtiger Schritt, auch wenn seine Beratungen bislang keine Verbindlichkeit haben.

Der deutsche „Synodale Weg“ umfasst die vier Themenbereiche „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“, „Sexualität und Partnerschaft“, „Priesterliche Existenz heute“ und „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“. Manche sagen, dass der deutsche „Synodale Weg“ auf den Schultern von Wir sind Kirche ruht. Denn es sind genau die Themen, die 1995 in prophetischer Weise von Wir sind Kirche in Österreich als Antwort auf den Wiener Missbrauchsskandal formuliert wurden.

2021 hat dann Papst Franziskus den weltweiten „Synodalen Prozess“ initiiert, der auch als eine Antwort auf den „Synodalen Weg“ in Deutschland gedeutet werden kann. Auch hier haben sich die Themen des Kirchenvolks-Begehrens als wichtige pastorale Fragestellungen herauskristallisiert, und zwar weltweit. Dies ist bei allen Kontinentalsynoden und den beiden Versammlungen der Weltsynode 2023 und 2024 in Rom deutlich geworden, die Wir sind Kirche begleitete. Laut Schlussdokument der Weltsynode müssen nun die Ortskirchen Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass die gesamte kirchliche Gemeinschaft mitentscheidend und nicht nur mitberatend in alle wesentlichen Entscheidungen einbezogen wird.

Danke für das, was vor 30 Jahren in Österreich in prophetischer Weise formuliert wurde, denn das ist zum Reformkanon für die Kirchenerneuerung geworden.

Christian Weisner, einer der Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens Wir sind Kirche 1995 in Deutschland
weisner@wir-sind-kirche.de  

Zuletzt geändert am 22­.10.2025