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Veröffentlicht am 29­.06.2022

über Wir sind Kirche in seinem Buch "Ich muss raus aus dieser Kirche"

Andreas Sturm

Begonnen hatte mein Studium im Wintersemester 1994/1995 in Mainz. Wie vorher [Seite 15] geschrieben, erinnere ich mich noch gut daran, dass 1995 die ersten engagierten Menschen samstags auf dem Wochenmarkt Unterschriften für die Aktion Wir sind Kirche sammelten. Und daran, wie Papst Johannes PaulII. in Ordinatio sacerdotalis erklärte, dass die Kirche keinerlei Vollmacht habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Ich erinnere mich an mich als Verteidiger der "wahren" Lehre und wortreicher Erklärer auf dem Wochenmarkt, dass ich so etwas niemals unterschreiben werde. Heute frage ich mich oft, ob diese Aktion von Wir sind Kirche zum damaligen Zeitpunkt vielleicht die Situation der Kirche noch mal hätte ändern können. Jene Frauen und Männer, die damals aufgestanden sind, die Unterschriften eingesammelt und bei Priesterweihen Flyer verteilt haben, die waren hoch engagiert und haben schon damals die zwingende Notwendigkeit für Veränderungen gesehen. Ich war damals noch zu verstockt und habe die unbedingte Notwendigkeit für Veränderungen nicht gesehen und sie stattdessen eher belächelt. Möglicherweise haben viele so gedacht, teils aus Bequemlichkeit und teils aus Unverständnis. So blieb es das Engagement einiger weniger, und heute, mehr als 25 Jahre später, sind wir zu spät dran. Wir haben so viel wertvolle Zeit verschwendet. Wir sind heute noch an den gleichen Themen dran; noch schlimmer, wir sind an den gleichen Themen dran, die Kirche auch schon bei der Würzburger Synode vor knapp 50 Jahren behandelt hat. Wir haben den Kairos verpasst. Ich schreibe dies, auch wenn ich bei einigen meiner Mitarbeitenden und auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sehe, wie viele Menschen solch große Hoffnungen auf den Synodalen Weg setzen. Ich wünsche Ihnen so sehr, dass ihre Hoffnungen nicht enttäuscht werden. Doch ich habe diese Hoffnung nicht mehr. Ich halte es für denkbar, dass in Frankfurt mutige und wegweisende Entscheidungen getroffen werden. Aber ich hab keine Hoffnung, dass diese weltkirchlich rezipiert oder gar akzeptiert werden. Ich frage mich gar nicht mehr, ob und welche Änderungen Rom zulässt. Was ich mich frage: Wer fängt die Enttäuschung und die Enttäuschten auf?

Textauszug Seite 60/61 aus: Andreas Sturm: Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will. Ein Generalvikar spricht Klartext
> Herder-Verlag 2022, ISBN: 978-3-451-83398-4, 192 Seiten, 18 Euro

Markierung durch Wir sind Kirche

Zuletzt geändert am 05­.07.2022