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Veröffentlicht am 21­.12.2020

Zur Forderung nach Ausnahmegenehmigungen für Christmetten

Weihnachten auf dem Prüfstand – Dom und Stall decken sich nicht

Bei dieser Diskussion kann man nur verlieren. Weil inzwischen alle irgendwie Experten geworden sind, mit Halbwissen und Erfahrungen als Argumenten. Zunächst einmal stelle ich fest, haben Gottesdienste - zumal unter digitalen Bedingungen - für mich an Anziehungskraft verloren. Weshalb sollte ich nun das Recht auf Christmetten verteidigen!? Krass gesagt bedeutet mir Weihnachten im alten Stil immer weniger. Aber unterschätzen wir die Anhänglichkeit der einfachen Menschen an Rituale nicht, die sie seit Kindheit pflegen! Dennoch: Klerikal-magische Kulthandlungen reizen immer weniger.

Gleichzeitig sind Fragen nach der Verhältnismäßigkeit von Verboten nicht einfach vom Tisch zu wischen. War da nicht ein Versprechen der Politik im Raum, Weihnachten zu ermöglichen?  Erledigt der Pandemiefall eine Ausgangssperre dieses Ausmaßes? Darf man sich Erfolge durch Kontakt-Vermeidung erhoffen? Wie soll das nachprüfbar sein? Seit Beginn der Beschränkungen im Namen des Gemeinwohls verstärkt sich der Eindruck, einer gewissen Willkür ausgesetzt zu sein. Deswegen muss man Corona nicht leugnen. Noch ist unklar, weshalb sich die Neuinfektionen nicht eindämmen lassen.

Der Kern und Knackpunkt der Frage scheint mir zu sein: Wie im 21. Jahrhundert überhaupt Weihnachten feiern? Wahrlich darf man Christsein nicht auf Eucharistie beschränken. Glaube und Nächstenliebe haben die Welt als Feld. Glaube Liebe Hoffnung sind an keinen Ort und keine feste Zeit gebunden. Worin bestünde nun eine Alternative, ein Gegenentwurf zum herkömmlich romantisch-nostalgisch-bürgerlichen Geschenkefest mit fragwürdigem Familienbild?

Die Erzählquellen geben Anhaltspunkte für verblüffend andere Maßstäbe für das Fest der Geburt Jesu. Im Lukasevangelium finden sich Züge von: Asylsuche, Verfolgung, Ausgrenzung, Glanz unter Armen, Flucht, traumhafte Helfer, Idylle-Kritik. Dom und Stall sind nicht deckungsgleich. Ausstattung mit dem Nötigsten für Heimatlose sprengt jedes Konsumfest. Weihnachten hat eine politische Note. Da kann Kritik nicht scharf genug sein. Um Gesundheit und Wohlstand für wenige darf es gesellschaftlich-politisch nicht gehen; ebenso wenig innerkirchlich um „eine Reproduktion pastoraler Entmündigung und ein Festklammern an schwindender kirchlicher Macht“ (Benedikt Kern, ITP Münster). Kirchliche „Hyperkompetenz für sämtliche Bereiche“ (Peter Sloterdijk, Den Himmel zum Sprechen bringen 2020, 329) ist nur noch simuliert. „Bricht eine Pandemie aus, werden Kirchen, Synagogen und Moscheen geschlossen; Gesundheitsminister und Virologen interpretieren die Lage.“ (Ebd. 329)

Menschwerdung ist als Fest und Lebensprojekt unverzichtbar und hört nicht auf, mit Befreiungen zu winken. „Der berühmteste aller Anfänge ist ein Befreiungsfanal. Er braucht Inszenierung und Wiederholung, um es immer wieder sein zu können.“ „Weihnachten ist eine Bühne, auf der Liebe, Friede und Freude aufgeführt werden.“ (Heribert Prantl SZ 2019) Geht es um ein Fest-Klammern oder um ein neues Konzept von Fest? Sind wir überhaupt zu mehr Gerechtigkeit, zu einem Blickschwenk hin zu den Armen und zur Behütung der Schöpfung bereit? Ich glaube: nur theoretisch. Aber Bethlehem ist volkstümlich ein Gegenentwurf. „Kein Reicher war nicht dabei.“ (L. Thoma) Eine Aufnahme des Menschen durch die Hintertür. Das wäre zu feiern und das können wir, „auch jenseits von liturgischem Pomp, klerikalen VorsteherInnen und großen Kirchengebäuden.“ (B. Kern, ITP) Zuwendung kennt keine Grenzen. An jedem Punkt der Welt kann man ins Geheimnis vertieft sein.

Fest-Verzicht geht nicht ohne Arbeit am Blickwechsel. Es geht anders! Sagt jede Krise. Es muss auch anders gehen. Deswegen hat der Staat nicht automatisch recht, wenn er so massiv in die Rechte eingreift. Legen wir nun das Fest selbst vor die Tür? Wir müssen weder auf die Schrift, noch auf Gesten, noch auf Klangwelten verzichten. Dazu existiert Kreativität genug. Aber auf Gemeinschaft. Diesen schmerzhaften Verzicht können wir den Intensivpatienten schenken. Das ist vielleicht die kostbarste Tat an Weihnachten 2020 und das im wahren Sinn „heilsamste“ Geschenk, das wir uns gegenseitig machen können.

Günther Doliwa, Bundesteam Wir sind Kirche 2020, 19.12.2020

Zuletzt geändert am 21­.12.2020