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Veröffentlicht am 27­.12.2016

25.12.2016 - Frankfurter Rundschau / Kölner Stadt-Anzeiger /

Leonardo Boff: „Arm ist man nicht, arm wird man gemacht“

Andere Überschrift: „Papst Franziskus ist einer von uns“

Von Joachim Frank

Der Befreiungstheologe Leonardo Boff über die Situation der katholischen Kirche, die Obsession Ratzingers, die Pläne Papst Franziskus’ und den scharfen Gegenwind aus den USA.

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Bei all Ihrer Begeisterung – was ist mit den Kirchenreformen, die sich viele Katholiken von Franziskus erhofft hatten, wo aber faktisch noch nicht so viel passiert ist?
Wissen Sie, soweit ich ihn verstehe, ist das Zentrum seines Interesses gar nicht mehr die Kirche, schon gar nicht der innerkirchliche Betrieb, sondern das Überleben der Menschheit, die Zukunft der Erde. Beides ist in Gefahr, und man muss fragen, ob das Christentum einen Beitrag leisten kann, diese große Krise zu überwinden, an der die Menschheit zugrunde zu gehen droht.

Papst Franziskus kümmert sich um die Umwelt, und derweil fährt seine Kirche vor die Wand?
Ich glaube, es gibt für ihn eine Hierarchie der Probleme. Wenn die Erde zugrunde geht, haben sich alle anderen Probleme auch erledigt. Aber was die innerkirchlichen Fragen angeht, warten Sie’s mal ab! Erst neulich hat Kardinal Walter Kasper, ein enger Vertrauter des Papstes, gesagt, es werde demnächst große Überraschungen geben.

Was erwarten Sie?
Wer weiß, vielleicht doch den Diakonat der Frau. Oder die Möglichkeit, dass verheiratete Priester wieder in der Seelsorge eingesetzt werden können. Das ist eine ausdrückliche Bitte der brasilianischen Bischöfe, besonders seines Freundes, des brasilianischen Kurienkardinals Claudio Hummes. Ich hörte, der Papst wolle dieser Bitte – zunächst für eine Experimentierphase in Brasilien – entsprechen. Dieses Land mit seinen 140 Millionen Katholiken sollte wenigstens 100 000 Priester haben. Es gibt aber nur 18 000. Institutionell gesehen, ist das eine Katastrophe. Kein Wunder, dass die Gläubigen in Scharen zu den Evangelikalen und den Pfingstlern überlaufen, die das personelle Vakuum füllen. Wenn die vielen Tausend verheirateten Priester ihr Amt wieder ausüben dürften, wäre das ein erster Schritt zur Besserung der Lage – und zugleich ein Impuls, dass die katholische Kirche die Fessel des Pflichtzölibats löst.

Wenn der Papst in diesem Sinne entscheiden würde – würden Sie als ehemaliger Franziskanerpater auch selber wieder priesterliche Aufgaben übernehmen?
Ich persönlich brauche eine solche Entscheidung nicht. Sie würde für mich nichts ändern, weil ich bis heute das tue, was ich immer getan habe: Ich taufe, ich beerdige, und wenn ich in eine Gemeinde ohne Priester komme, feiere ich zusammen mit den Leuten auch die Messe.

Ist es sehr „deutsch“, zu fragen: Dürfen Sie das denn?
Bisher hat kein Bischof, den ich kenne, das je beanstandet oder gar verboten. Die Bischöfe freuen sich sogar und sagen mir: „Das Volk hat ein Recht auf die Eucharistie. Mach also ruhig weiter!“ Mein theologischer Lehrer, der leider vor wenigen Tagen verstorbene Kardinal Paulo Evaristo Arns, zum Beispiel war da von ganz großer Offenheit. Er ging so weit, dass er verheiratete Priester, die er während der Messe in der Bank sitzen sah, zu sich nach vorne an den Altar holte und gemeinsam mit ihnen zelebrierte. Das hat er oft gemacht und gesagt. „Sie sind doch noch Priester – und Sie bleiben es!“

Interview: Joachim Frank

http://www.fr-online.de/kultur/interview--arm-ist-man-nicht--arm-wird-man-gemacht-,1472786,35042040.html?dmcid=sm_em







http://www.ksta.de/kultur/leonardo-boff-im-interview--papst-franziskus-ist-einer-von-uns--25372660

> englische Fassung des Interviews

Zuletzt geändert am 30­.12.2016