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Veröffentlicht am 21­.09.2020

21.9.2020 - KNA aktuell

Interview: 25 Jahre "Wir sind Kirche" - Bundessprecher reklamiert Erfolge

Christian Weisner: Es hat viel zu lange gedauert
Von Christoph Renzikowski (KNA)

München (KNA) Im September 1995 gab es in Österreich und Deutschland eine bislang einmalige Unterschriftenaktion: 2,3 Millionen Katholiken votierten in einem Kirchenvolksbegehren  für grundlegende Reformen in ihrer Kirche. Damit schlug die Geburtsstunde der Organisation Wir sind Kirche. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) zieht Bundessprecher Christian Weisner (69) Bilanz. Er hofft weiter auf Priesterinnen und räumt ein, dass er mit Latein in der Messe kein Problem hat.

KNA: Herr Weisner, seit 25 Jahren streiten Sie für Reformen in der katholischen Kirche - bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Haben Sie noch nie die Lust verloren?

Weisner: Sicher, es hat sehr lange, viel zu lange gedauert, aber dass jetzt der Synodale Weg genau unsere Themen aufgreift, sehen wir als wesentlichen Erfolg. Wir sind zu einem Schrittmacher für die Kirche geworden. Mit unserer Schwangerschaftskonfliktberatung Frauenwürde e.V., unserem Nottelefon für Betroffene sexualisierter Gewalt und unseren vielen pastoralen Angeboten von den Sonntagsbriefen bis zu den Pilger-Rad-Touren haben wir sehr konkrete Hilfe leisten können und tun dies weiterhin. Wir erfahren viel Zustimmung von der Kirchenbasis wie auch von der wissenschaftlichen Theologie. Das ist alles ermutigend.

KNA: Die von Ihnen geforderten Neuerungen, etwa beim gleichberechtigten Zugang von Frauen zu allen Ämtern, sind in der evangelischen Kirche weitgehend Realität, aber auch dort laufen die Mitglieder in Scharen davon. Setzen Sie auf die falschen Pferde?

Weisner: Die Frauenfrage wird entscheidend für die Zukunft unserer Kirche sein, das sagt auch der neue Vorsitzende der Deutschen  Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. Dass beide Kirchen so viele Mitglieder verlieren, hat viele Gründe. Ich denke, die evangelische Kirche ist in der Amtsfrage viel näher an der biblischen Botschaft als wir. Die katholische Kirche beruft sich dagegen sehr auf die Tradition. Aber der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf beschreibt sehr klar, wie auch falsche Traditionen erfunden worden sind, besonders in der Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Ersten Vatikanischen Konzil. Beide Kirchen werden sich verändern müssen in ihrer Theologie, in ihrer Sprache, in ihrem Bemühen, Jesu Botschaft heute noch glaubwürdig zu vermitteln.

KNA: Wir sind Kirche - das klingt ein bisschen nach dem Slogan der DDR-Montagsdemonstrationen im Wendeherbst 1989. Absicht?

Weisner: Mag sein, aber Wir sind Kirche geht auf ein Wort von Papst Pius XII. aus dem Jahre 1946 zurück: Die Laien gehören nicht zur Kirche, sie sind Kirche. Die Volk-Gottes-Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils hat das dann verstärkt. In dieser Tradition sehen wir uns: Wir alle sind Kirche.

KNA: Was muss in der Kirche unbedingt so bleiben wie es ist - oder wollen Sie keinen Stein auf dem anderen lassen?

Weisner: Das Katholisch-Sein, das nämlich schon vom Wort her umfassend meint und in sich eine Vielfalt hat, wie es sie die allerlängste Zeit in den vergangenen 2.000 Jahren auch gegeben hat. Und eine lebendige Tradition, die erkannte Fehler behebt und neue Entwicklungen aufnimmt. Denn vor der unguten Konfessionalisierung nach der Kirchenspaltung hat sich das Christentum eigentlich in vielem sehr kreativ und innovativ gezeigt. Diese Vielfalt gilt es wiederzuentdecken, damit das Christentum als Ganzes zukunftsfähig bleibt.

KNA: Gibt es etwas, das Sie mit einem frommen Marienverehrer verbindet, einem Liebhaber der lateinischen Messe, für den der Katechismus die oberste Richtschnur ist?

Weisner: Ich respektiere es sehr, wenn Menschen Halt in verschiedenen religiösen Ausdrucksformen finden und habe nichts gegen das Latein in der Messe. Problematisch wird es, wenn Riten und Bräuche beibehalten werden, die für ein rückwärtsgewandtes, priesterzentriertes Kirchenbild stehen. So wie der von Papst Benedikt XVI. wieder anerkannte vorkonziliare Messritus.

KNA: Zu Ihrem Standardrepertoire gehört die Forderung nach einem echten Dialog zwischen Hirten und Herde. Haben Sie ein solches Gespräch schon einmal erlebt, wenn ja, wann und wo?

Weisner: Wir sollten lieber von Kirchenvolk und Kirchenleitung sprechen. Über die Jahre hat es eine Annäherung gegeben und wir freuen uns jetzt über die Aussagen mancher Bischöfe. Doch weder beim Gesprächsprozess 2011 bis 2015 noch beim Synodalen Weg sind wir als Reformgruppe mit einbezogen worden. Aber wir bleiben beharrlich.

KNA: Was muss beim deutschen Reformdialog Synodaler Weg herauskommen, dass Sie zufrieden sein können?

Weisner: Wir brauchen eine theologisch fundierte Weiterentwicklung der kirchlichen Lehre sowie Vorschläge für zeitgemäße Dienste und Strukturen, die von der großen Mehrheit aller Teilnehmenden, auch der Bischöfe, mitgetragen werden. Das wird dann auch Rom nicht ignorieren können.

KNA: Priesterinnen im Petersdom - werden Sie das noch erleben?

Weisner: Bereits heute leisten viele Frauen priesterliche Dienste in unserer Kirche, aber sie werden noch nicht anerkannt. Das muss sich ändern, hoffentlich sehr bald. Die Geduld auch der älteren und aktiven Frauen ist am Ende.

KNA: Sie sind seit vielen Jahren voll und ganz für Wir sind Kirche tätig. Wie sehen Sie Ihre Zukunft?

Weisner: Durch die Medienarbeit bin ich vielleicht etwas bekannter als die anderen fünf Mitglieder in unserem Bundesteam. Aber es gibt sehr viele in den einzelnen Diözesen wie in der weltweiten Kirchenvolksbewegung, die sich für die dringend notwendigen Reformen einsetzen. Die enge Vernetzung mit katholischen Verbänden, den Betroffenen-Organisationen sexualisierter Gewalt und den neu entstandenen Initiativen Maria 2.0 oder Ordensfrauen für Menschenwürde machen mir Mut. Aber es bleibt noch viel zu tun.

 

Stichwort
Wir sind Kirche

München (KNA) Wir sind Kirche ist ein 1995 entstandener Zusammenschluss von Katholiken, die für Veränderungen in ihrer Kirche eintreten. Eine feste Mitgliedschaft gibt es nicht. Die Sprecher der Organisation verweisen auf bundesweit mehrere Zehntausend Unterstützer. Beobachter gehen von weitaus niedrigeren Zahlen aus.

Die Wurzeln der inzwischen in rund 30 Ländern vertretenen Gruppe liegen im österreichischen Kirchenvolksbegehren, das 1995 Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal um den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer forderte. Der Name der Bewegung geht nach eigenen Angaben auf ein Wort von Papst Pius XII. aus dem Jahr 1946 zurück: Die Laien gehören demnach nicht zur Kirche, sie sind Kirche. Außerdem erinnert der Name an die Losung der Leipziger Montagsdemonstrationen Wir sind das Volk kurz vor dem Ende der DDR.

Die früheren Kernforderungen gelten bis heute als Leitlinien des Engagements von Wir sind Kirche: Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, volle Gleichberechtigung von Frauen in allen Kirchenämtern, ein Ende des Pflichtzölibats für Priester eine positivere Bewertung von Sexualität und ein neuer Stil bei der Verkündung des Glaubens. Ein Großteil dieser Themen wird derzeit im Reformdialog unter der Überschrift Synodaler Weg in Deutschland verhandelt, den die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) organisieren.

Leitguren für Wir sind Kirche sind Theologen wie der Schweizer Hans Küng und der Paderborner Eugen Drewermann sowie der vom Vatikan 1995 degradierte französische Bischof Jacques Gaillot. Aktuell setzt die Gruppe einige Hoffnungen auch in Papst Franziskus, während sie dessen beiden Vorgängern Benedikt XVI. und Johannes Paul II. sehr kritisch gegenüberstand.

Wir sind Kirche organisiert bundesweit Veranstaltungen und versucht die verschiedenen Reformakteure - auch international - zu vernetzen. Regelmäßig veröffentlicht die Bewegung Stellungnahmen zu theologischen und kirchenpolitischen Fragen. Auch bei Kirchen- und Katholikentagen ist die Gruppierung präsent. Offizielle Kontakte zur Deutschen Bischofskonferenz gibt es nicht.

Zuletzt geändert am 23­.09.2020