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Veröffentlicht am 21­.03.2020

21.3.2020 - Mittelbadische Presse Offenburg

Gastbeitrag „Kirche lebendig gestalten“

Der Theologe Norbert Scholl über der „Synodalen Weg“ bei den Katholiken

Von Norbert Scholl. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich im März 2019 mit 62 Ja-Stimmen und vier Enthaltungen gemeinsam mit dem Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) für einen „Synodalen Weg“ entschieden. „Die Missbrauchsstudie und in ihrer Folge die Forderung vieler nach Reformen zeigen: Die Kirche in Deutschland erlebt eine Zäsur. Der Glaube kann nur wachsen und tiefer werden, wenn wir frei werden von Blockierungen des Denkens, der freien und offenen Debatte und der Fähigkeit, neue Positionen zu beziehen und neue Wege zu gehen.“ So Kardinal Marx zur Begründung.

In einer Pressekonferenz stellte ZdK-Präsident Sternberg fest: „Eine wirklich überwältigende Mehrheit, das sind 90 Prozent und mehr, wollen die Reformen.“ Es sei nur eine kleine, aber lautstarke und unbelehrbare Minderheit, die „massiv dagegenhalte“ und die nicht wahrhaben will, dass ihr Widerstand gegen Reformen die Menschen in Scharen aus der Kirche treibt und die wohl auch Kardinal Marx dazu gebracht hat, resigniert das Handtuch zu werfen. Die Zahl der Kirchenmitglieder geht seit 1991 kontinuierlich zurück, im Durchschnitt um jährlich etwa 185 000. Sie liegt derzeit bei etwa 23,5 Millionen und wird – sofern dieser Trend anhält – im Jahr 2024 bei etwa 19 Millionen liegen. Bis 2030 können laut Magazin „Focus“ von den aktuell rund 13 500 Priesterstellen etwa 7000 nicht mehr besetzt werden

 Inzwischen haben am 30. Januar die 230 Mitglieder ihre Arbeit begonnen: 69 Bischöfe und Weihbischöfe, 69 Vertreter des ZdK sowie weitere Delegierte kirchlicher Institutionen, Ordensgemeinschaften und Verbände. Nach der Eucharistiefeier im Frankfurter Dom durften sechs Katholikinnen und Katholiken einen Impuls für den „Synodalen Weg“ geben. Am eindrücklichsten war vielleicht die Benediktinerin Philippa Rath: „Gott hat die Menschen als Mann und Frau erschaffen, sie sollen gemeinsam die Welt gestalten.“ Es sei nötig, die Strukturen in der Kirche zu überdenken. Frauen sollten „mehr Mitentscheidungsrechte in der Kirche haben. Es sollte Ämter für Frauen geben, auch Weiheämter.“ Auch bei der ersten Vollversammlung fand Sr. Philippa deutliche Worte: Sie liebe ihre Kirche, aber sie leide auch an ihr. Bei der Begleitung von Gläubigen und Pilgern habe sie immer wieder Menschen kennengelernt, die sich vor der Kirche fürchteten – sei es wegen Missbrauchserfahrungen oder der Befürchtung kirchlicher Mitarbeiter, ihre Arbeit zu verlieren, falls sie eine von der Lehre der Amtskirche abweichende Haltung einnähmen. Es gäbe ein „großes Angstpotenzial“ innerhalb der Kirche. Man solle es doch dem lieben Gott überlassen, wen er wie berufen wolle – und da sei das Geschlecht sicherlich kein Kriterium.

 Nach Abschluss der ersten Vollversammlung am 1. Februar zog Kardinal Woelki eine ausgesprochen kritische Bilanz: Die hierarchische Ordnung der Kirche werde infrage gestellt und nicht jede Meinung habe Gehör gefunden. Er habe schon im Vorfeld die große Sorge gehabt, „dass hier quasi ein protestantisches Kirchenparlament“ implementiert werde. Positiv äußerte sich hingegen der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing: Die Arbeit in den vier Arbeitsgruppen zu den zentralen Themen Macht, Sexualmoral, priesterliches Leben und Rolle der Frauen sei gut angelaufen. Es sei spürbar und welcher Nachdenklichkeit die aktuellen Themen angegangen wurden. Unser leidenschaftlicher Appell, Kirche lebendig zu gestalten, ist von Laien und Priestern und Bischöfen gleichermaßen aufgenommen worden. Ich wünsche mir, dass die Kirche des Aufbruchs, wie sie Papst Franziskus fordert, weiter sichtbar in unserem Land ist.“

Es deutet sich an, wohin die Reise bei diesem auf zwei Jahre angelegten „geistlichen Experiment“ gehen könnte: In Richtung einer Gemeinschaft, in der Frauen eine stärkere Rolle spielen, in der die Macht von Klerikern neu definiert wird und in der sich die Sexualmoral der Kirche verändert.

Unser Gastautor Dr. Norbert Scholl ist emeritierter Professor für Katholische Theologie und Religionspädagogik. Er engagiert sich seit 1998 in der Reformbewegung „Wir sind Kirche“.

 

Zuletzt geändert am 02­.04.2020