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Veröffentlicht am 26­.07.2019

26.7.2019 - Mittelbayerische

Aussenansicht: Die Kirche muss loslassen

Die Amts-Kirche wirkt festgefahren. Um den Austrittszahlen entgegenzuwirken, muss sie sich von ihren Traditionen lösen.
Sigrid Grabmeier, Sprecherin „Wir sind Kirche“

Der Evangelist Lukas erzählt die Geschichte von Jesus zu Gast bei Martha. Sie rotiert als Gastgeberin und ärgert sich, dass ihre Schwester Maria, statt zu helfen, bei den Männern sitzt und Jesus zuhört. Und Jesus bestärkt Maria: „Sie hat den guten Teil erwählt.“ Die Austrittszahlen 2018 kommentierte eine Journalistin, sie sähe z. B. in der Vernachlässigung der mittleren und jüngeren Mitglieder zugunsten einer vergleichsweise großen Berücksichtigung der älteren Kirchenmitglieder einen Grund, dass diejenigen, die Kirchensteuer zahlen müssten, sich abwendeten.

 

Das mag sowohl für die evangelischen Kirchen wie auch die katholische Kirche gelten. Bei dieser werden auch der große Vertrauensverlust durch den Umgang mit sexueller Gewalt und die Unzufriedenheit über die Reformunfähigkeit genannt. Zumindest in der katholischen Kirche wurde das eigene Zuhören noch nicht als der „gute Teil“ erkannt. Natürlich will Kirche dienen und tut das in vielerlei Hinsicht. Darum ist sie mir immer noch lieb und teuer. Aber noch mehr erlebe ich sie Zwängen gehorchend, die sie sich im Lauf der Zeit selbst auferlegt hat.

Die Amts-Kirche hat verlernt, sich wie Maria zu Füßen Jesu einzureihen. Wann hätte Jesus die Ordination ehelos lebender Männer zu Gemeindeleitern, Kultvorständen, Regionalaufsehern und Besetzern des Heiligen Stuhls verlangt? Wann Kleidung, Knöpfe oder Krägen vorgeschrieben? Wann sich Ehrentitel ausgedacht, Staatsdotationen beansprucht oder Kirchensteuer erhoben? So werkelt die Amts-Kirche in ihrer institutionellen Schwerhörigkeit herum und rechtfertigt ihre Geschäftigkeit mit den von ihr selbst aufgestellten Regeln.

Taub geworden hat sie verlernt, in der Sprache von heute die frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen. Eine Kirche, die in unserer Zeit noch etwas zu sagen haben will, muss sich Jesus zu Füßen setzen und ganz Ohr sein, sie muss loslassen und sich sowohl von ihren Traditionen lösen, sich auf die Suche machen und nicht schon immer das Ziel kennen. Sie muss lernen, neu auf Gott und die Welt zu hören. In einer solchen Kirche will ich dabei sein, will ich auf Jesu Botschaft hören – und in einer solchen Kirche leiste nicht nur ich gerne einen finanziellen Beitrag, sondern auch viele andere, die ausgetreten sind.

https://www.mittelbayerische.de/politik-nachrichten/die-kirche-muss-loslassen-21771-art1809650.html

Zuletzt geändert am 27­.07.2019