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Veröffentlicht am 19­.07.2019

19.7.2019 - welt.de

Hunderttausende Deutsche kehren der Kirche den Rücken

„Besorgniserregende Zahlen“
 
Die Zahl der Austritte aus der katholischen Kirche ist im vergangenen Jahr um 48.500 Menschen gestiegen.
  • 216.000 Menschen haben 2018 die katholische Kirche verlassen.
  • Bei den Protestanten traten 220.000 Menschen aus der Kirche aus, 23.000 mehr als 2017.

Bei den Protestanten traten 220.000 Menschen aus der Kirche aus, 23.000 mehr als 2017, teilte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover mit. Die Gesamtzahl der Protestanten verringerte sich um 1,8 Prozent auf gut 21 Millionen. Durch die positive Entwicklung der Löhne und Einkommen sei das Kirchensteueraufkommen 2018 trotz des Rückgangs leicht auf 5,79 Milliarden Euro gestiegen.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sagte dazu, jeder Austritt schmerze. Allerdings könne man sich heute anders als früher völlig frei entscheiden, ob man in der Kirche bleiben wolle. „Wir sind dankbar für die vielen Menschen, die sich heute aus Überzeugung für die Mitgliedschaft in ihrer Kirche entscheiden.“

Auf katholischer Seite bezeichnete der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, die Entwicklung als „besorgniserregend“. Ein Grund für die gestiegene Zahl der Austritte sei sicher die im September veröffentlichte Missbrauchsstudie. Dadurch sei eine große Debatte ausgelöst worden. „Viele glauben uns nicht mehr, dass wir konsequent und entschlossen gegen Täter vorgehen“, erläuterte Langendörfer der Deutschen Presse-Agentur. Der Bischof von Münster, Felix Genn, sagte, nach der Veröffentlichung der Studie hätten viele wohl gedacht: „Jetzt reicht es mir endgültig.“ Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ bezeichnete die Austrittszahlen als „erschütternd“.

Studie prognostiziert Halbierung der Mitglieder bis 2060

Nach einer Projektionsstudie der Universität Freiburg werden die Mitgliederzahlen beider Kirchen bis 2060 um rund die Hälfte zurückgehen. Der Kirchenrechtsexperte Thomas Schüller betonte, Kirchenaustritte seien „kein Naturphänomen, sondern Ausdruck einer Entfremdung der Gläubigen von der Kirche und einer Glaubwürdigkeitskrise der Kirche selbst“.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer, selbst evangelischer Christ, regte eine Diskussion über die Kirchensteuer an. So seien die Kirchen in den USA – wo es keine Kirchensteuer gebe – viel lebendiger, sagte Pfeiffer. „Ein Grund dafür ist mit Sicherheit, dass sie es sich dort nicht auf dem Ruhekissen der Kirchensteuer bequem machen können.“ Sie müssten etwas unternehmen. „In Deutschland dagegen verlangweilen sich die Kirchen immer mehr. Die Pfarrer sind quasi verbeamtet. Vielleicht wäre es ein Befreiungsschlag, wenn sie sich von der Kirchensteuer befreien würden.“

https://www.welt.de/vermischtes/article197126643/Zahl-der-Kirchenmitglieder-geht-deutlich-zurueck.html

Zuletzt geändert am 22­.07.2019