| |
Veröffentlicht am 07­.04.2019

7.4.2019 - Weser-Kurier

Die Hoffnung der Frauen

Christine Hölscher übernimmt die Leitung einer katholischen Pfarrgemeinde – das ist eine kleine Revolution

von Marc Hagedorn

Osnabrück. Wenn Christine Hölscher Ende des Jahres in die Pfarrgemeinde Bad Iburg/Glane bei Osnabrück zurückkehrt, dann kön­nen sich die Freunde von früher sicher sein, dass sich eines nicht geändert hat: Christine Hölscher startet immer noch mit einem an­ständigen Cappuccino oder einer guten Tasse Kräutertee in den Tag. Dieses Ritual hat Höl­scher schon in den 14 Jahren gepflegt, in denen sie als Gemeindereferentin in Bad Iburg und Glane tätig war. Ansonsten aber wird sich ei­niges ändern, wenn Hölscher nach fünf Jah­ren in Osnabrück-Stadt ab dem 1. Dezember wieder auf dem Land arbeitet: Sie hat dann einen beispiellosen Karrieresprung gemacht. Sie leitet die Pfarreien St. Clemens in Bad Iburg und St. Jakobus in Glane und ist damit die erste Frau an der Spitze einer Pfarrge­meinde im Bistum Osnabrück überhaupt. Bis­her war diese Aufgabe in der katholischen Kir­che einzig und allein Priestern vorbehalten.

Via E-Mail, per SMS und am Telefon hätten die Menschen ihr alles Gute gewünscht für die neue Aufgabe, erzählt Hölscher. „Wir unter­stützen dich.“ „Wir gehen diesen Weg mit dir.“ „Es ist wichtig, dass du das machst.“ Aber auch: „Pass gut auf dich auf.“ Hölscher sagt, dass sie sich sehr über die aufmunternden Botschaften gefreut habe. Sie weiß, dass ihr Leben nicht langweiliger wird, wenn sie dem­nächst diesen Job übernimmt. Ihre Berufung ist eine mittelgroße Sensation und mit großen Hoffnungen von vielen Gläubigen verbunden. Endlich, so sehen es viele in der katholischen Kirche, endlich folgt der nächste Schritt, um Frauen in weitere pastorale Spitzenpositio­nen zu bringen. „Ein guter Schritt“, sagt auch Christian Weisner. Und wenn der 67-Jährige das sagt, dann hat das Gewicht. Weisner ist Mitbegründer der wortstarken Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“, die unter anderem für die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie Laien und Klerus kämpft. Für Weisner steht fest: „Wir befinden uns in einem Umwälzungsprozess. Wir stehen jetzt an einer ganz gro­ßen Schwelle, über die die rö­misch-katholische Kirche gehen muss.“ Sie muss sich neu aufstel­len, meint Weisner.

Die katholische Kirche hat es schwer. Mehrere Missbrauchs­skandale sind zuletzt an die Öf­fentlichkeit gekommen. Die Zahl der Kirchenaustritte nimmt seit Jahren nicht ab. Im Zuge der sexuellen Übergriffe von Geistlichen auf Kinder und Ordensschwestern rechnen Experten in Zukunft sogar mit einem Anschwellen der Austrittswelle. Weil außer­dem schon lange Priester fehlen, werden Ge­meinden zusammengelegt oder Kirchen gleich ganz geschlossen. „Wenn wir die Men­schen noch erreichen und den Glauben und das Christsein glaubhaft leben wollen, dann führt kein Schritt daran vorbei, auch Weiheämter für Frauen zu öffnen“, sagt Weisner.

Hölscher, 51, ledig und studierte Religionspädagogin, rückt zu einer Zeit an die Spitze einer Pfarrge­meinde, in der Frauen sich offen­siver als je zuvor positionieren. Als vor wenigen Wochen die Bischofs­konferenz in Lingen tagte, demonstrierten Frauen am Ta­gungsort. Sie fordern Zugang zu allen Ämtern. Die katholische Kir­che hat sich zwar eine Frauen­quote verordnet, demnach sollen 30 Prozent aller Führungspositionen bis 2023 von Frauen besetzt sein. Tatsächlich gibt es in der oberen Leitungsebene bisher aber nur 19 Prozent Frauen, in der mittleren Leitungs­ebene sind es 23 Prozent.

Die Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland, Agnes Wu­ckelt, nennt den Zuwachs von Frauen in Füh­rungspositionen „kläglich“. Und dabei ist von der Zulassung zum Priesteramt noch nicht einmal die Rede. Davon träumen aber viele Frauen. Etwa Lisi Maier. Die Vorsitzende der Deutschen Katholischen Jugend, die 660 000 junge Katholiken vertritt, skizzierte zum Weltfrauentag ihre Vision von der Kirche der Zukunft. Sie sagte: „Am 8. März 2039 wird in Deutschland die erste Frau von Gläubigen in ihrem Bistum zur Bischöfin gewählt. Im Got­tesdienst, den ich besuche, predigen Frauen und Männer gemeinsam. Die Partnerin mei­nes Sohnes befindet sich in der Ausbildung zur Priesterin, und ich freue mich mit ihr, dass ihr Lebenstraum in Erfüllung geht.“

Christine Hölscher weiß, dass der Weg bis dorthin noch weit ist, „meilenweit“, sagt sie selbst. Es gibt Menschen, die sie gefragt ha­ben, warum sie die Leitung einer Pfarrge­meinde übernimmt, gemeint war: Warum sie sich das antut. Ihre Antwort fällt dann zwei­teilig aus. Zum einen ist sie für die Aufgabe qualifiziert. Hölscher hat ein zweijähriges Mentoring-Programm der Bischofskonferenz absolviert, das unter dem Motto „Frauen stei­gen auf“ steht.

Zum Profil ihrer aktuellen Stelle als Pasto­rale Koordinatorin in der Pfarrei Christus Kö­nig in Osnabrück zählt schon jetzt die Perso­nalverantwortung für drei Kindertagesstät­ten, und bei diversen Bauprojekten ist sie erste Ansprechpartnerin.

Zum anderen sieht sich Hölscher nicht als Quotenfrau. Sie fragt lieber zurück: „Warum sollte ich es nicht tun?“ Ihre Sicht: „Indem ich es tue, habe ich die Möglichkeit, etwas zu ver­ändern. Ich habe auch Skepsis, ich kenne schließlich meine Kirche. Aber wir haben in der jetzigen Situation unserer Kirche einen Spielraum.“ Und den will sie nutzen.

Ein Pfarrbeauftragter für die Geschäfte, ein Priester für die Sakramente

 

Ende des vergangenen Jahres hat der 60-jährige Theologe Michael Göcking als erster hauptamtlicher Laie überhaupt im Bistum Osnabrück die Leitung einer Gemeinde übernommen, in diesem Fall in Wellingholzhausen/Gesmold. Er nennt sich offiziell Pfarrbeauftragter. Mit der Einführung der Gemeindeleitung durch hauptamtliche Laien – also pastorale Mitarbeiter, die nicht zum Priester geweiht sind – soll die weitere Zusammenlegung von Pfarreien und Pfarreiengemeinschaften zu noch größeren Einheiten vermieden werden. Das Kirchenrecht ermöglicht diesen Schritt, wenn es nicht genügend Priester zur Leitung der Gemeinden gibt. Das Bistum Osnabrück hat 208 Pfarreien, die in 72 Einheiten zusammengefasst sind. Den Laien ist ein moderierender Priester zur Seite gestellt, der nicht vor Ort ist. Im Falle von Christine Hölscher wird dies der Krankenhaus-Seelsorger und Pastor Bernhard Brinkmann sein, der im Moment in Bremen, demnächst aber in Osnabrück arbeitet. Hölscher führt die Geschäfte der Gemeinde. Die Sakramente wie Taufe, Eucharistie, Firmung, Beichte oder Ehe spendet weiter ein Priester.
MHD

etwas kürzere Online-Fassung vom 6.4.2019: https://www.weser-kurier.de/region/niedersachsen_artikel,-die-hoffnung-der-frauen-_arid,1820365.html#nfy-reload

 

Zuletzt geändert am 10­.04.2019