17.12.2016 - Neues Ruhr-Wort

„Was für ein Hohn“

Vatikan legt neue Ausbildungsordnung für Priester vor Zum ersten Mal seit 46 Jahren legt der Vatikan eine neue Ausbildungsordnung für Priester vor. Die Reaktionen sind gemischt. Sie rangieren zwischen Anerkennung für den dezidierten Akzent auf der Prävention von sexuellem Missbrauch auf der einen Seite sowie Enttäuschung und Kritik an der fortgesetzten Ablehnung von homosexuellen Männern als geeignete Priesteramtskandidaten beziehungsweise Pries­ter auf der anderen Seite.

Das fast 100-seitige Dokument präsentiert Leitlinien zu theologischen, spirituellen, pädagogischen und kirchenrechtlichen Aspekten. Künftige Priester sollen außerdem stärker – etwa beim Thema Soziale Medien – auf das Priestersein in der gegenwärtigen Zeit vorbereitet werden. Ziel ist insgesamt eine ganzheitliche Ausbildung, die bei aller generellen Gültigkeit auch die jeweiligen Gegebenheiten und Spezifika der Ortskirche berücksichtigt.

Der Schutz von Minderjährigen soll künftig weltweit ein fester Bestandteil der Priesterausbildung sein. Diesem Thema müsse „größte Aufmerksamkeit“ gewidmet werden, heißt es in der neuen Rahmenordnung. Dies ist als Lehre aus dem Missbrauchsskandal und zur Prävention weiterer Missbrauchsfälle zu verstehen. Dabei geht es aber in diesem Themenkomplex nicht nur um sexuellen Missbrauch. Priesteramtskandidaten sollen insgesamt für Gewalt sowie Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen sensibilisiert werden. Dazu gehören auch die Themen Kinderhandel und Jugendarbeit. Darüber hinaus geht es hier auch um den sexuellen Missbrauch von Erwachsenen mit Behinderung.

Weiterhin Ablehnung von Homosexualität

Unangeachtet der Tatsache, dass es zahlreiche homosexuelle Gemeindepries­ter und Funktionsträger in der katholischen Kirche gibt und schon immer gegeben hat, bekräftigt das Dokument die Ablehnung von Homosexuellen als geeignete Kandidaten für das Priesteramt. Wer „tiefsitzende homosexuelle Tendenzen“ habe oder eine sogenannte „homosexuelle Kultur“ unterstütze, könne nicht zur Ausbildung und Weihe zugelassen werden.

Dieser Komplex steht im Fokus der Kritik an der neuen Ausbildungsordnung. So schreibt der frühere Priester und spirituelle Bestsellerautor Pierre Stutz auf der Schweizer Website „kath.ch“: „Dieser Entscheid ist für mich zutiefst verletzend und diskriminierend. All die Aussagen der letzten Monate, dass homosexuellen Menschen mit Respekt begegnet werden soll, verlieren durch dieses Dokument ihre Glaubwürdigkeit.“ Es sei ein offenes Geheimnis, dass mindestens 25 Prozent der Priester und Bischöfe homosexuell sind, so Stutz. „Ein Teil dieser Priester bekämpft die eigene Homosexualität auch durch homophobe Aussagen, zugleich gibt es einen beachtlichen Teil von schwulen Priestern, die ihre Homosexualität gut integriert haben und sie zum Segen in den vielfältigen Aufgaben der Seelsorge leben. Was für ein Hohn muss es für sie erneut sein, zu erfahren, dass sie nicht erwünscht sind mit ihrer homosexuellen Begabung.“

Sein „heiliger Zorn“ sei groß, „weil für mich dieser Entscheid ein Verrat an der Menschwerdung Gottes ist“, erklärt Stutz. „Was ist das für eine Scheinheiligkeit, zu erzählen, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt – die Kernaussage des kommenden Weihnachtsfestes –, wenn zugleich mit unbarmherziger Härte betont wird, dass homosexuelle Menschen sich nämlich in einer Situation befinden, ,die in schwerwiegender Weise daran hindert, korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen aufzubauen‘. Als Theologe und spiritueller Autor, der seit 13 Jahren in seiner Partnerschaft mit einem Mann dankbar das Geschenk der Liebe Gottes erfährt, protestiere ich mit meiner ganzen Kraft gegen diese schamlose Behauptung.“

Auch die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ kritisiert die Ausgrenzung Homosexueller durch die neuen Richtlinien und fordert die deutschen Bischöfe auf, „sich von dieser Ausgrenzung zu distanzieren“. Eine solch ablehnende und ausgrenzende Haltung, wie sie in dem Dokument erneut bekräftigt werde, „ist jedoch unbiblisch und durch nichts zu rechtfertigen“, so „Wir sind Kirche“. „Gott ist Mensch geworden und grenzt niemanden aus. Der Ausschluss von homosexuellen Frauen und Männern trägt in vielen Ländern und Kulturen dazu bei, dass sie erniedrigt, angegriffen und sogar getötet werden.“ Wieder einmal zeige sich, dass der Vatikan, „einer der wenigen Staaten, die die ,Erklärung der Menschenrechte‘ nicht unterschrieben haben, die Menschenrechte hintanstellt“.

Distanzieren und bekennen

Die neue Ordnung sei „eine enorme Herabsetzung“ nicht nur der homosexuellen Priester, sondern Tausender Homosexueller, „die der Kirche mit Ehre und Hingabe gedient haben und weiterhin dienen“, heißt es in der Stellungnahme von „Wir sind Kirche“. „Diese Richtlinien stehen auch in völligem Gegensatz zu dem berühmten Satz von Papst Franziskus ,Wer bin ich, dass ich urteile?‘.“ „Wir sind Kirche“ fordert von den Bischöfen nicht nur, auf Distanz zu gehen, sondern auch ein Bekenntnis: „Auch könnte das ein Anlass sein, dass sich die deutsche Kirchenleitung endlich einmal klar zu ihren homosexuellen Priestern bekennt und deren unersetzlichen Einsatz in der Kirche und für die Kirche würdigt.“

Das Vatikan-Dokument spiegelt aber auch Fortschritte. So empfehlen die Richtlinien ausdrücklich, Frauen in den Priesterseminaren und an den Universitäten an der Priesterausbildung zu beteiligen. Die Fähigkeit, mit Frauen in Kontakt zu stehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, müsse in die Beurteilung des Kandidaten eingehen. Weniger fortschrittlich erweist sich der Vatikan allerdings in seinem Frauenbild, wie die weitergehende Erklärung zeigt: „Die Frauen sind unter den Zielgruppen und Mitarbeitern des pastoralen Wirkens des Priesters oft in der Mehrheit und bieten ein erbauendes Zeugnis des demütigen,großzügigen und selbstlosen Dienstes“, heißt es da. Eher auf der Höhe der Zeit sind die Kurse zu Klimawandel und Umweltzerstörung, die ebenfalls vorgesehen werden.

Die neue Ausbildungsordnung betont auch den „Weg der Jüngerschaft“, der mit der Taufe beginne und sich mit der Pries­terausbildung fortsetze. Ein Priester sei kein „Mensch des Machens“, fasst Radio Vatikan zusammen, „also ein religiöser Organisator oder ein Funktionär des Heiligen, sondern zuerst ein Jünger des Herrn. Nur durch eine Förderung dieser Beziehung zu Christus könnten wirksam ,ein sakrales oder administratives Verständnis‘ des priesterlichen Dienstes überwunden werden“.Der Priester müsste also – wieder – stärker Seelsorger und ein spirituell inspirierendes Vorbild für den Glauben sein und weniger ein Verwalter und Manager von Großpfarreien, Gemeinden und Gremien. Die Wirklichkeit sieht in vielen Teilen der Weltkirche allerdings derzeit eklatant anders aus, zumal in den vom Priestermangel gekennzeichneten Kirchen des Westens. Die Auswirkungen eines priesterzentrierten Kirchenbildes spielen dabei ebenso eine große Rolle.

Seit 2014 wurde das Dokument unter Einbeziehung von Ortskirchen und Nuntiaturen sowie mit verschiedenen Experten, der Kleruskongregation und auf einer Tagung erarbeitet. Papst Franziskus hat sich laut Kardinal Beniamino Stella, Präfekt der Kleruskongregation, unter anderem mit Überlegungen zum „Umgang mit Versuchungen“ eingebracht, etwa dem Umgang mit Autorität, „rechtlicher Starrheit“ oder Eitelkeit. Generell setzen die neuen Richtlinien einen starken Akzent auf die menschliche Reife der Priesteramtskandidaten. „Es kann keinen Priester ohne geistiges Gleichgewicht und ohne emotionale Reife geben“, erklärt der Kardinal. „Jede Lücke und jedes nicht gelöste Problem auf diesem Gebiet birgt die Gefahr, schweren Schaden anzurichten, entweder bei der Person selber oder beim Volk Gottes.“ Um ein guter Priester zu sein, reiche es nicht aus, die Examen zu bestehen, so Stella im Interview mit dem „L’Osservatore Romano“, es brauche eine menschliche, geistliche und pastorale Reife sowie ein psychologisches Gleichgewicht.

Hildegard Mathies

Info Das Dokument „Das Geschenk der Berufung zum Priestertum“ zum Nachlesen unter http://tinyurl.com/priestum

Zuletzt geändert am 01­.03.2017