4.11.2013 - WDR

Kirchenaktivistin im Interview: An der Lebenswirklichkeit vorbei?

Der Vatikan verschickt Fragebögen, in denen die Einstellung der Katholiken zur Ehe und Familie abgefragt wird: Das klingt nach einem neuen, demokratischeren Umgang mit den Gläubigen. Annegret Laakmann, Referentin der Kirchenbewegung "Wir sind Kirche", sieht die Aktion aber kritisch.

Annegret Laakmann stammt aus Haltern und ist Referentin von "Wir sind Kirche". Die Kirchenvolksbewegung, die 1996 gegründet wurde, will das Gewicht der Laien stärken und setzt sich für eine Erneuerung der katholischen Kirche ein.

WDR.de: Der Vatikan will wissen, was die Katholiken in aller Welt über Ehe und Familie denken. Das klingt zunächst ganz gut und fortschrittlich. Oder?

Annegret Laakmann: Vordergründig ja. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob es hier wirklich darum geht, in Erfahrung zu bringen, wie die Gläubigen denken und was sie wollen. Es ist ein sehr schwieriger Fragebogen, der einiges an Vorkenntnissen über die katholische Lehre voraussetzt. Meiner Meinung nach geht es darin nicht um die Frage, wie die Menschen heute leben und was die Kirche für sie tun kann.

WDR.de: Sondern?

Laakmann: Wie die kirchliche Lehre besser rübergebracht werden kann. Von den sechs Seiten des Schreibens beschäftigen sich die ersten viereinhalb nur mit der Lehre der katholischen Kirche zur Ehe und Familie. Da wird ausgiebig auf Bibelstellen und Lehrschreiben eingegangen. Bezeichnend ist, dass gleich die erste Frage versucht, die Kenntnisse der Lehre abzufragen. Da wird schon eine Menge Wissen vorausgesetzt, und ein bisschen wirken die Fragen so, als ob die Gläubigen ihre Lebenssituation daraufhin überprüfen sollen, inwieweit sie auf die Lehre der Kirche eingehen.

WDR.de: Noch scheint unklar, an wen genau sich der Fragebogen wendet: An alle Katholiken oder nur an die Bischöfe, die darin die Stimmung innerhalb ihrer Gemeinden wiedergeben sollen?

Laakmann: Der Fragebogen ist veröffentlicht und frei zugänglich, von daher verstehe ich das so, dass sich jeder und jede damit beschäftigen kann und eventuell sogar gehört wird - zumindest wird dieser Eindruck erweckt. Und wir werden natürlich dazu aufrufen, sich damit zu beschäftigen. Ich fände es sehr schwierig, wenn nur die Bischöfe stellvertretend für ihre Gemeindemitglieder antworten sollten. Denn es stellt sich natürlich die Frage, inwieweit diese sich in die Familien hineinversetzen können. Vor allem in die Familien, die gar nicht mehr zur Kirche kommen.

WDR.de: Inwieweit werden denn aktuelle Probleme angesprochen und abgefragt?

Laakmann: In den Fragen klingt zwar an, dass sich Ehe und Familie im Umbruch befinden, auch werden gleichgeschlechtliche Partnerschaften erwähnt. Gleichzeitig wird dabei stets von "irregulären" Ehen und Verhältnissen gesprochen - eine bezeichnende Wortwahl. Im Grunde dreht sich der gesamte Fragebogen um die Weitergabe des Glaubens unter veränderten Bedingungen. Die aktuelle Situation der Menschen steht dabei weniger im Mittelpunkt. Es geht nicht darum, die aktuelle Ehe- und Sexuallehre der Lebenswirklichkeit anzupassen, etwa indem man wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zulässt. Die Menschen sollen zurückgeholt werden, das ist das Ziel.

WDR.de: Was erwarten Sie von der Bischofsversammlung im Herbst 2014, die unter anderem mit diesem Fragebogen vorbereitet werden soll?

Laakmann: Zunächst einmal, dass auch Laien und vor allem auch weibliche Laien beteiligt werden. Aber konkrete Erwartungen zu äußern, ist schwierig. Es ist nun mal eine weltweite Kirche, die Situationen in den Ländern sind ganz unterschiedlich. Es ist schwer, sich eine Lösung vorzustellen, die für die gesamte Weltkirche gilt. Aber vielleicht gibt es die Möglichkeit, den Teilkirchen mehr Freiheiten im Umgang mit der Situation vor Ort einzuräumen, wie das teilweise ja schon geschehen ist.

WDR.de: Der Fragebogen wird von vielen Beobachtern als weiteres Zeichen gedeutet, dass Papst Franziskus die Gläubigen an der Basis mehr miteinbeziehen will. Sehen Sie das auch so?

Laakmann: Dass es diese Umfrage gibt, ist sicher ein ungewöhnlicher Vorgang, den wir auch sehr begrüßen. Wenn man die derzeitige Lebenswirklichkeit der Gläubigen sieht, muss man allerdings sagen: Die Fragen kommen 30 Jahre zu spät.

Die Fragen stellte Ingo Neumayer.

http://www1.wdr.de/themen/kultur/fragebogenkirche100.html

Zuletzt geändert am 06­.11.2013