20.04.2005 - Deutschlandfunk

Die harte Seite von Papst Benedikt XVI.

Christian Weisner, Koordinator der Internationalen Bewegung "Wir sind Kirche" über Joseph Ratzinger

Friedbert Meurer

Der Koordinator der Internationalen Bewegung "Wir sind Kirche", Christian Weisner, steht dem neuen Papst Benedikt XVI. kritisch gegenüber. Bei der Schwangerschaftskonfliktberatung und in seinem Schreiben "dominus Jesus" habe Joseph Ratzinger "eine harte Seite gezeigt". Er müsse einen neuen Stil finden. Ein "weiter so", wie in den letzten 26 Jahren von Johannes Paul II., dürfe es nicht geben.

Meurer: Auf dem Petersplatz brandete gestern also Jubel auf, als sich der Vorhang hob und klar wurde, wir haben einen Papst. "Habemus Papam!" Kardinal Joseph Ratzinger ist als Benedikt XVI. das Kirchenoberhaupt aller Katholiken. Die Kardinäle haben sich damit für einen ausgesprochen konservativen Kirchenmann entschieden, der schneller als er-wartet die Zwei-Drittel-Mehrheit des Konklave für sich gewinnen konnte. Gestern Abend äußerte sich unter anderem Karl Kardinal Lehmann, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, in Rom:

Wir haben in Deutschland eigentlich immer ein sehr negatives Ratzinger-Bild gehabt, das dem Theologen Ratzinger und auch seinen Leistungen in der benachbarten Glau-benskongregation überhaupt nicht entsprach. Ich kenne ihn seit 1962, seit dem Beginn des Konzils, und wir haben viele, viele gemeinsame Dinge gemacht, auch Bücher und so fort. Wir haben ein sehr begrenztes Bild und das werde ich unaufhörlich weiter sagen: Das muss ja nicht heißen, dass man in allen Einzelfragen von Kirchenpolitik, von Einschätzung der Lage übereinstimmen muss. Das hat er auch nie verlangt. Aber ich glaube an diese große Gemeinsamkeit und eben auch seine Stellung als Theologe. Was ich so schon ü-ber Äußerungen heute Abend hörte und so fort, das wäre der schwärzeste Tag für die Welt, dumme Sachen, wo ich nur sage Gott, dann sollen sie mal her kommen und darüber reden.

Meurer: Das sagt der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Kardinal Lehmann gestern Abend in Rom. Kritisch gesehen wurde Kardinal Ratzinger unter anderem vom Kirchenvolksbegehren "Wir sind Kirche". Ich bin nun verbunden mit einem der Initiatoren, mit Christian Weisner, der auch die internationale Bewegung "We are Church" - "wir sind Kirche" - koordiniert. Guten Morgen Herr Weisner.

Weisner: Guten Morgen Herr Meurer.

Meurer: Haben Sie ein negatives Ratzinger-Bild?

Weisner: Kardinal Lehmann hat Recht und hat nicht Recht zugleich, und zwar ist das schon ein bisschen differenzierter. Ich möchte das kurz in aller Kürze versuchen. Kardinal Ratzinger ist ein sehr fortschrittlicher, junger Theologe gewesen. Er war der jüngste Theologieprofessor in seiner Zeit. Er hat das Zweite Vatikanische Konzil entscheidend beein-flusst und ich denke es wird noch oft so sein, dass wir und viele andere ihn immer an sei-ne frühen Schriften erinnern werden. Das andere ist - und da denke ich hat Kardinal Lehmann sicher zurecht auch sich sehr diplomatisch ausgedrückt -, es gibt aber viele Schreiben aus Rom und zwar nicht nur nach Deutschland, die auch eine sehr harte Seite von Kardinal Ratzinger in seiner Funktion als Prefekt der Glaubenskongregation gezeigt haben. In Deutschland ist es sicher die Schwangerschaftskonfliktberatung, ein mehr als zehn Jahre dauernder Konflikt. Es ist aber auch das Schreiben "dominus Jesus", das den anderen Kirchen der Reformation das Kirche sein abspricht. Es ist aber nicht nur auf Deutschland bezogen so, denn die Theologie der Befreiung, Leonardo Boff, und es gibt eine Reihe von anderen Theologen, die von Rom abgestraft worden sind. Da ist in den letzten 21 Jahren auch sehr die Handschrift von Kardinal Ratzinger dahinter gewesen.

Meurer: Entschuldigung, Herr Weisner. Das ist vielleicht eher die Vergangenheit von Kardinal Ratzinger. Die Zukunft von Papst Benedikt XVI, glauben manche, kann vielleicht gerade ein konservativer Papst am ehesten die Kirche verändern und reformieren?

Weisner: Das ist durchaus möglich, denn es hat ja bisher eigentlich, so weit ich das jedenfalls verfolgen kann, eigentlich kein Papst immer genau die Erwartungen erfüllt, die man vorher an ihn gestellt hat. Die Aufgabe, vor der Kardinal Ratzinger steht, ist immens. Die Tagesordnung, vor der aber auch die katholische Kirche steht, ist auch sehr, sehr groß, was wirklich anzupacken gilt. Er wird allein von seiner Persönlichkeit her denke ich einen ganz anderen Stil finden müssen. Von daher kann es einfach - davon bin ich fest überzeugt - kein "weiter so" geben wie in den letzten 26 Jahren von Johannes Paul II., bei allen Verdiensten. Kardinal Ratzinger, jetzt Benedikt XVI. - man muss sich noch ein bisschen an den neuen Namen gewöhnen - muss einen neuen Stil finden.

Meurer: Der neue Papst hat sich ja einen Namen ausgesucht, der wohl auch Programm ist: Benedikt XVI. Benedikt XV. war Papst während und nach dem Ersten Weltkrieg. Ist der Name Programm? Steht er für Versöhnung, für Verständigung, auch mit anders Denkenden?

Weisner: Das ist sehr zu hoffen und das ist natürlich auch ein politisches Programm. Joseph Kardinal Ratzinger ist ja in der Vergangenheit vor allem innerkirchlich in Erschei-nung getreten und wird aber jetzt auch in seiner weltpolitischen Funktion eine Aufgabe wahrnehmen müssen. Ich denke da kann Benedikt XVI. schon das Programm sein, dass er sich jetzt für den Frieden auch zwischen Nord und Süd einsetzt. Aber ich denke er hat schon eine schwere Hypothek, denn im Grunde wird jetzt immer noch die Kirche von einem Europäer geleitet, wenn ich das mal von der südlichen Halbkugel so sehen darf. Ob es nun ein Deutscher oder ein Italiener ist, das mag aus der Sicht von Mexiko oder von China nicht so unterschiedlich sein. Er wird sich, denke ich, noch sehr beweisen müssen, wie weit er wirklich auf der Weltbühne auch weltpolitisch eine Position erwirken kann.

Meurer: Was wünschen Sie sich, was wünscht sich die Initiative "wir sind Kirche" vom neuen Papst?

Weisner: Er muss ein Papst für die Gesamtkirche sein und ich kann nur sehr hoffen, dass sich die konservativen Seiten jetzt nicht zu früh freuen und sagen, wir haben einen konservativen Papst durchgeboxt. Die Verantwortung für die katholische Weltkirche muss alle einschließen und da kann ich nur hoffen, dass auch mit vielleicht ein bisschen Alters-weisheit er in seiner neuen Funktion jetzt umfassender ist und nicht so abgrenzend wie in der Funktion als Vorsteher der Glaubenskongregation.

Meurer: Das war Christian Weisner, der Initiator des Kirchenvolksbegehrens "wir sind Kirche". Danke Herr Weisner und auf Wiederhören!

Weisner: Auf Wiederhören Herr Meurer.

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Zuletzt geändert am 04­.07.2013